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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman
Autoren: Brita Steinwendtner
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dämmerte und vom Teich her war bereits das Rufen der Wildgänse zu hören, als Verena Tom bat, seine Gitarre zu holen.
    Wenn es euch nicht stört, sagte er.
    Und begann, leise Hank Williams’ Ballade vom Ramblin’ Man zu singen,
    leise, sehr lange, wie für sich,
    unter dem Böschungswald,
    unter den Hängen des Grillparz.

43
    Das Leben ist nicht spektakulär.
    Es ist das Leben.
    Es kommt und geht.
    Geht weiter.
    Drei Tage nach dem Fest brach Tom am Badesee zusammen. Konnte gerade noch vom Rasenmäher absteigen, fiel ins Gras, dann wurde er kurz bewusstlos. Ein Fischer sah es, kam zu Hilfe. Als Tom erwachte, hatte er stechende Schmerzen, rollte sich zum Embryo, stöhnte. Blieb liegen, spuckte etwas Blut. Der Fischer brachte ihm heißen Tee aus seiner Thermoskanne. Die Schmerzen ließen nach. Dann mähte Tom weiter. Bis die ersten Gäste kamen, war alles vorüber. Er sagte zu niemandem ein Wort.
    Dominik sah seine Blässe.
    Ich hab zu viel gearbeitet in der letzten Zeit, geht schon, mach dir keine Sorgen. Viel gearbeitet hatte er tatsächlich.
    Ein Tag wie viele.
    Tom tat seine Arbeit.
    Am späten Nachmittag, wenn mitunter etwas Zeit blieb, kamen die Jugendlichen mit ihren Fragen zu Erfolg und Scheitern, zur Liebe und zum Leben. Sie lachten viel, Tom hatte eine besondere Art, mit Humor die Dinge leicht zu machen. Niemand ist nobody, sagte er ihnen, das stärkte sie in ihrer Unsicherheit. Abends, wenn kein Betrieb mehr war, spielte er für sie, sang ein paar Lieder. Es werden für viele die schönsten Erinnerungen an einen Sommer sein.
    Der Tom, der war einfach da, sagte Dominik später, er hat zugehört und war da. Wenn wir etwas gebraucht haben, hat er geholfen, immer. Aber allein das Zuhören hat schon geholfen. Es war ganz leicht, ihn etwas zu bitten. Denn für ihn war’s gar kein Bitten, nur ein Fragen wie sonst auch und für andere da zu sein, war sein Dauerzustand. Er hat so geduldig mit uns diskutiert, über Gott, die Anarchisten oder über Georg Büchner, über Zensur und Diktatur und über das Friede den Hütten, Krieg den Palästen! und uns sind die Augen aufgegangen. Er hat mit uns Schach gespielt und uns Kleinigkeiten geschenkt, einmal sogar ein paar Münzen aus seiner ererbten Sammlung. Er hat immer alles verschenkt, auch wenn er fast nichts gehabt hat. Außer Bücher und seine Gitarren. Ich glaub’, er hat sich jedem selbst verschenkt, bis nichts mehr da war von ihm.
    Juli und August brachten gutes Geschäft.
    An heißen Tagen bis zu tausend Menschen am See.
    Der Bademeister hat Gastritis, erzählten sich die Leute.
    War nervös.
    Zu wenig Getränke. Zu wenig Personal.
    Überfüllte Mistkübel.
    Die Berge stießen an seine Stirn.
    Der Ausschnitt des Himmels so eng.
    Gab es je andere Himmel?
    Feel like my soul has turned into steel
    I’ve still got the scars that the sun didn’t heal
    There’s not even room enough to be anywhere
    It’s not dark yet, but it’s getting there
    Verena half im Kiosk. Küsste ihn auf den Mund, bevor sie sich abends verabschiedete.
    Er wusste nicht, was er davon halten sollte.
    Dominik beobachtete Tom. Er sah dessen Schwäche. Unter dem Vorwand einer willkommenen Fahrpraxis – er hatte eben den Führerschein gemacht – brachte er Tom jetzt des Öfteren nach Hause. Manchmal, wenn es noch hell genug war, machten sie den Abstecher zur Rinderherde.
    Zu Hause fiel Tom in den alten, hölzernen Liegestuhl, den er am Ufer des Baches aufgestellt hatte. Herrlich, sagte er. Ließ die Füße im Wasser baumeln und schloss die Augen. Das Murmeln des Lamander kreiselte in seinem Kopf, die Dolden des Holunders reiften in ihr dunkles Florentinerrot, von der Birke tänzelte von Zeit zu Zeit ein erstes gelbes Blatt auf Schulter oder Knie und die Welt lag anmutig in der Beuge unter dem Böschungswald. Ach, Bach und Wald – immer willkommen als Metapher der Idylle, dachte Tom noch, bevor er eindöste, aber sie waren da, Bach und Wald, Abendvögel und Klosterglocken, sie waren ein Teil seines Lamanderreichs, das er liebte.
    Dominik ging in das Haus und kochte etwas Schnelles nach Jamie Oliver. Später aßen sie im Salettl.
    Du hast mir damals so geholfen, sagte Dominik plötzlich.
    Was meinst du?
    Mit Mathematik.
    Davon hab ich nie etwas verstanden.
    Aber von mir und wie’s mir gegangen ist.
    Das eher.
    Es war so ziemlich die letzte Gruft.
    Unerklärlich, was Professor X. mit dir gemacht hat, sagte Tom. Dieser Vernichtungswille, der jemanden antreiben, ja, beherrschen kann, und im
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