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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman
Autoren: Brita Steinwendtner
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suchte sich draußen etwas zu schaffen, damit ihm warm würde, warf flache Steine über den See, ließ sie blatteln wie als Kind und zählte, wie oft der Stein aufsprang, bevor er sank. Er begann, obwohl er in letzter Zeit abgenommen hatte, mit einem moderaten Lauftraining, um nach dem Winter in Form zu kommen, zuerst eine Runde, später zwei um den See. Oder machte langsame Spaziergänge auf dem Damm, dabei konnte er gut die neuen Dylan-Lieder memorieren. Hier konnte er sich konzentrieren.
    In the still oft the night, in the world’s ancient light
    Where wisdom grows up in strife
    My bewildered brain toils in vain
    Through the darkness on the pathways of life
    Each invisible prayer is like a cloud in the air
    Tomorrow keeps turning around
    We live and we die, we know not why
    But I’ll be with you when the deal goes down
    Die Melodie spielte er in Gedanken mit den Fingern mit. Bob Dylan war jetzt fast siebzig, war nicht mehr der große Messias, der er selbst nie sein wollte, der er aber jahrzehntelang dennoch war, er hatte ein verlebtes Gesicht, eine noch rauere Stimme, war noch verschlossener, war immer noch auf der never ending tour , hatte immer noch die Präzision eines hellsichtigen Zeitkritikers und war der begnadete dream twister wie je. Tom kam nicht los von ihm und wollte es auch nicht.
    Sintflut. In der dritten Regenwoche wurde Tom unruhig. Er suchte Zuflucht im Restaurant. Versuchte, zu lesen. Dann mischte er sich unter die Gäste vom Dauercampingplatz, hörte widerwillig ihren schlüpfrigen Witzen zu oder besuchte den einen oder anderen, der ihn schon oft eingeladen hatte in sein Schrebergartenhäuschen zwischen Gartenzwergen und Hollywoodschaukel. Viele waren nette, verträgliche Leute, die sich dieses kleine Leben schwer erarbeitet hatten und es darum vor sich selbst genießen mussten, selbst wenn es regnete. Der Obmann der Eigentümergemeinschaft war Tom besonders zugetan. „Der Tom war ein Philosoph“, schrieb er später in einem Anschlag auf der Kioskwand, „und ein positiver Träumer, sanft, nachdenklich und sozial; für den Tom waren Gäste Freunde, nicht Umsatz, war Geld Mittel, nicht Zweck. Er war so ganz anders als die Welt.“
    Im Lamandergraben war Hochwasser.
    Der Bach trat über die Ufer. Er leckte an den Hausmauern. Die Wiese war überflutet. Tom baute Papierschiffchen und sah ihnen zu, wie sie in Kreisen oder Mäandern durch den Garten trieben. Nachts krochen Tausendfüßler über die Wände.
    Auf der erhöhten Straße hinter den Mostbirnbäumen kämpfte sich ein Mann in Stiefeln und mit einer Taschenlampe durch den Sturm. Die Gitarren waren verstimmt. Alles war klamm. Das Bett auf der Veranda hatte er mit Plastik zugedeckt. Die Dachrinnen waren noch voll mit Herbstlaub, sie fassten die Wassermengen nicht, die überschwappten und gegen die Mauern schlugen. Im Keller stand Grundwasser. Die Ratten flüchteten und kamen vereinzelt bis in die Küche.
    Tom hörte den Lamander schieben und graben, unter den Gewölben, unter dem Haus. Schabte sich neue Gänge. Er lag lange wach inmitten seiner Bücherberge. Lag auf dem Rücken, die Hände über dem Bauch verschränkt, um ihm Wärme zu geben.
    Er lerne, sich selbst zu ertragen, schrieb er in das braune Heft.
    Und.
    Und hab ich sie beide verloren?
    *
    Mitte Juni klarte es auf. Der Kalkberg, der flussabwärts in Terrassen für das Stahlwerk in Linz abgetragen wurde, leuchtete als Zeichen eines Sieges herüber. Wieso denk ich Sieg, fragte sich Tom. Nie in seinem Leben hatte er je über Wetter nachgedacht oder geredet, jetzt hing seine finanzielle Existenz davon ab.
    Seine Zuversicht kehrte zurück.
    Die Mädchen, ein Jahr größer und reifer geworden, kleine Sexbomben, aber immer noch kichernd und plappernd, wenn sie zu viert oder fünft waren, sahen überrascht einen Bademeister, der seine Haare geschnitten und blond gefärbt hatte, ganz jugendlich sah er aus, schlanker als voriges Jahr, selbst sein Bart wirkte gepflegt. Geil. Wieder zogen sie ihn ins Vertrauen. Er hörte zu, holte sie dort ab, wo sie gerade waren. Auch die Kinder waren wieder da, der See hatte ein großes Stammpublikum. Die Buben und Mädchen hingen an seinen Lippen, wollten immer helfen. Meistens ließ er sie, betraute sie mit kleinen Handreichungen und belohnte sie mit einem Eis.
    Neben der täglichen Arbeit bereitete er mit Mikram, Florian und Dominik das geplante Literaturfest vor, Matthias stieß dazu, als er von Las Vegas zurückkam, und übernahm Organisation und
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