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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
Autoren: Geert Mak
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damals eine kleine Fabrikstadt, eine blue collar town . Bei Bulova wurden Uhrengehäuse hergestellt. Grumman hatte dort eine Flugzeugfabrik, und außerdem gab es ein paar Werften. Früher, um 1840, war der Ort einer der wüstesten Walfängerhäfen der Welt gewesen. Auf dem Old Burying Ground liegen die Gräber der ersten Bewohner der Stadt, seit 1776: Kämpfer aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, französische Händler, portugiesische Seeleute, irische und englische Walfänger. Es wird erzählt, dass sich die Besatzungen mancher Schiffe in Sag Harbor nicht von Bord trauten, weil die vielen Bars und Bordelle dort als zu gefährlich galten. Die Stadt war zudem einer der reichsten Häfen, was man noch immer an den üppigen rustikalen Villen aus dem 19. Jahrhundert erkennen kann, die gleich außerhalb des Zentrums zwischen den Bäumen liegen. Die Häuser haben große Balkons und Veranden, griechische Säulen, Bleiverglasung und vieles mehr. Die meisten wurden in den letzten Jahren von reichen New Yorkern erworben und restauriert, doch 1960 standen sie oft leer und waren verwahrlost.
    1955 kauften die Steinbecks ein kleines Haus in Sag Harbor. Sehr bald schon war es Johns liebster Ort. Er schrieb dort vier Bücher und zahllose Briefe, ereiferte sich über die Welt und das Leben, geriet in eine Krise und berappelte sich wieder. Das Haus liegt auf Bluff Point, einem grünen Hang an einem Ausläufer des Ozeans, umgeben von alten Eichen, mit einem Steg für das Boot, von dem Steinbeck immer geträumt hatte. Vom Haus aus schaute er über die Wiese, hinaus auf das ruhige Wasser in der Bucht, bis hinüber zu der kleinen Stadt und ihrem Hafen.
    Steinbecks Leben verlief nach einem festen Schema: morgens früh aufstehen, mit dem Auto und Charley neben sich zur Main Street, die Post abholen, eine Zeitung besorgen, einen Kaffee in der Fischerkneipe Black Buoy trinken, im Eisenwarengeschäft von Bob Barry etwas kaufen. Steinbeck war verrückt nach allem, was mit Technik zu tun hatte. »Werkzeuge, mechanische Apparate, davon konnte er nicht genug bekommen«, erfuhr ich von einem seiner alten Freunde. »Die Einrichtung des Wohnmobils, dieser Rosinante, das war etwas, was zu ihm passte.« Dann ging er an den Schreibtisch. Am Nachmittag zog es ihn erneut zum Hafen, auf ein paar Gläschen mit Barry und ein paar anderen Freunden in der kleinen Bar von Upper Deck.
    Der machohafte John und die distinguierte Elaine passten perfekt zueinander. Laut Freunden waren sie nur in einem Punkt unterschiedlicher Meinung. Elaine liebte New York, John hasste es. Für ihn gab es nur eine einzige Stadt: San Francisco. Sag Harbor war der ideale Kompromiss. John hatte am Rande des Gartens einen runden Schreibpavillon errichten lassen, und für Elaine wurde ein kleiner Swimmingpool gebaut – der im Übrigen schon sehr bald von den Enten in Beschlag genommen wurde. Alles dort war klein, aber komfortabel, angenehm und friedlich.
    Man kann verstehen, dass Steinbeck Sag Harbor vom ersten Moment an liebte. Er war ein Kind des anderen Ozeans, der Westküste, aus Kalifornien. Er stammte aus Salinas, dem Zentrum einer wohlhabenden Farmgegend mitten in Kalifornien, etwa zwei Stunden südlich von San Francisco. Seine Mutter war eine ehrgeizige und kultivierte Lehrerin, sein Vater ein stiller Abenteurer, wie man ihn öfter im Westen sieht, gewohnt, unter schwierigen Bedingungen seinen eigenen Weg zu finden. Bei seinen Geschäften hatte er nicht immer eine glückliche Hand, die Grübelei über Geld und Familienfragen führte ihn beinahe in den Untergang. Trotzdem bewahrte sein Sohn die Erinnerung an den Vater zeit seines Lebens, in fast allen Büchern begegnen wir einer ähnlichen Gestalt. »Er war ein Mann, der von sich selbst über die Maßen enttäuscht war«, schrieb John später über ihn.
    Steinbeck besuchte ein paar Seminare in Stanford – Meeresbiologie –, brach das Studium aber sehr bald ab, entschlossen, sich vom wirklichen Leben erziehen zu lassen. Er scheiterte in New York, kehrte nach Kalifornien zurück und biwakierte mit seinem Freund Toby Street zwei lange Winter als Bewacher in einem verlassenen Sommerhaus bei Lake Tahoe, mitten in der Wildnis. Danach verbrachte er Jahre in Pacific Grove, am Stillen Ozean, eine halbe Stunde von Salinas entfernt, in der Nähe der stinkenden Sardinenindustrie auf den Kais von Monterey.
    Hier lernte er Ed Ricketts kennen, einen Meeresbiologen, der sein Geld mit dem Sammeln aller möglichen Meerestiere für die
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