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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
Autoren: Geert Mak
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Innerhalb eines Jahres hatte er bereits eine neue Liebe gefunden, Elaine.
    Steinbeck führte ein Doppelleben. Er wohnte auch in Manhattan, in einem brownstone , in der East 72nd Street Nr. 209. Manchmal verschwand er von einem Tag auf den anderen, berichteten seine Freunde in Sag Harbor. Dann war er in New York oder sonst wo. »Elaine hielt diese Leben strikt getrennt«, sagten sie. Er war zugleich groß und klein, er selbst in Sag Harbor, eine öffentliche Person im vermaledeiten New York und in der übrigen Welt. Auf Fotos sieht Steinbeck, vor allem in späteren Jahren, aus wie ein querköpfiger, mürrischer Mann, der offenbar davon überzeugt ist, dass er recht hat. Aus seinen später veröffentlichten Briefen ergibt sich ein ganz anderes Bild. Dort begegnen wir vielmehr einem Mann, der trotz all seines Erfolgs ständig an sich und am Wert seines Werks zweifelt, einem besessenen Schriftsteller, der sein Schaffen gleichzeitig voller Misstrauen betrachtet. »Mein großes Vergehen gegenüber der Literatur ist, dass ich zu lange gelebt und zu viel geschrieben habe, das zudem nicht gut genug war«, schrieb er 1958 an seinen Freund Elia Kazan. »Aber ich liebe das Schreiben. Ich finde es schöner als alles andere auf der Welt. Deshalb interessieren mich Theater oder Film auch nicht wirklich.«
    Nach Ruhm und Unsterblichkeit strebte er nicht – auch wenn ihm beides zuteilwurde. In tiefstem Herzen war er ein zurückgezogen lebender Handwerker, ein Wortschreiner. Ganz selten nur trat er vor Publikum auf. Als er in einem Interview gefragt wurde, wie er sich selbst als Autor sehe, konnte er darauf nichts erwidern: »Ich glaube nicht, dass ich mich jemals als Autor betrachtet habe. In meinen Augen bin ich ein Schreiber, denn das ist, was ich mache. Ich weiß nicht, was ein Autor tut.«
    Er wurde zu einem der bekanntesten amerikanischen Schriftsteller. Mit vierzig war seine Stellung unangreifbar, jedes neue Buch aus seiner Feder war ein Ereignis. Als im Jahr 1942 sein Roman The Moon is Down ( Der Mond ging unter , 1947) über die Besetzung Norwegens erschien, wurden innerhalb eines Monats eine halbe Million Exemplare verkauft. Ende der fünfziger Jahre stand er auf dem dritten Platz der am meisten verkauften und übersetzten lebenden Schriftsteller weltweit.
    Zugleich wurde er unterschätzt. »Irgendwann einmal las und beweinte ich die Rezensionen«, schrieb er im Jahr 1954. »Danach legte ich alle Kritiken nebeneinander und stellte fest, dass sie einander aufhoben, so dass ich nicht mehr existierte.« Und so war es tatsächlich: Entweder wurde er wegen seiner wunderbaren Sprache, seiner hervorragenden Erzählweise und seiner Menschlichkeit in den Himmel gelobt, oder er wurde wegen seines »schmutzigen und infamen« Sprachgebrauchs – von rechts – beziehungsweise wegen seiner Sentimentalität und seiner »cartoonhaften« Figuren – von links – verdammt.
    Bei den akademischen Kritikern bekam er nie so recht ein Bein auf den Boden – ein Schicksal, das er mit vielen anderen guten Erzählern teilt. In den dreißiger Jahren, als er mit seinen Geschichten über Landstreicher, Huren und bettelarme Wanderarbeiter Bekanntheit errang, galt er sehr schnell als »zu proletarisch« und »zu realistisch«. Später fand man sein Werk zu naiv und vor allem zu romantisch, und dieses Urteil hallte jahrzehntelang nach. »Das Gute an John Steinbeck ist, wie gut er manchmal ist, während er doch auch oft sehr schlecht sein kann«, schrieb Robert Gottlieb noch 2008 in The New York Review of Books .
    Dennoch blieb Steinbeck im In- und Ausland immer ein über die Maßen populärer Autor. »Ich habe meinen Vater traurig aus Mülleimern von Fremden zu mir aufschauen gesehen, nachdem sein Porträt auf einer Fünfzehn-Cent-Briefmarke verewigt worden war«, schrieb sein Sohn John junior später in dem für ihn typischen Stil. »Betrunken oder high sah ich seinen Namen in vorüberwehenden Zeitungen, und ich stieß gegen sein Standbild, als ich lediglich auf der Suche nach einem ruhigen, abgeschiedenen Ort zum Kotzen war.«
    Was die literarische Welt sich weigerte zu erkennen, war Steinbecks Bedeutung als Chronist seiner Zeit. Er verstand es hervorragend, das Publikum, das er vor Augen hatte, zu erreichen, und in seinen Erzählungen erkannten die Leser sich selbst und ihre Welt. Was sie fühlten, drückte er in Worten und Geschichten aus.
    Steinbeck ist bis heute sehr präsent, und zwar auf eine Weise, an die nur wenige lebende Autoren herankommen.
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