Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
Autoren: Geert Mak
Vom Netzwerk:
italienischer, jüdischer und anderer Einwanderer, die davon überzeugt waren, dass all die Zukunftsträume für sie jetzt Wirklichkeit würden. In Levittown und in vergleichbaren Siedlungen lag der Keim für eine soziale Bewegung, die das traditionelle Amerika auf den Kopf stellen sollte; der Beginn des Auszugs in die Suburbs bedeutete das Ende der alten Stadt und der alten Provinz.
    Ein weiterer Beginn: die Autos. Ein älterer Amerikaner berichtete mir einmal davon, dass für ihn alles mit den Autos angefangen hatte. Genauer gesagt, mit den Farben der Autos. Seiner Meinung nach war es im Herbst 1954. Damals sah er plötzlich Menschentrauben vor den Ausstellungsräumen der örtlichen Autohändler. Es gab dort etwas Ungewöhnliches zu bestaunen. Die Modelle hatten sich zwar von Jahr zu Jahr verändert, aber sie waren immer solide und rechteckig gewesen, meistens schwarz und dunkelgrün. Und nun glänzte dort eine vollkommen neue Generation, breiter und eleganter als je zuvor.
    Ich habe mir die Anzeigen von damals noch einmal angesehen. Die erdigen Farben waren Pastelltönen gewichen, Rosa und Hellblau: Der Chevrolet Bel Air und der Pontiac Star Chief mit ihrem Strato-Streak V8-Motor waren sowohl in »Avalongelb« als auch in »Rabenschwarz« erhältlich. Die neuen Modelle hatten außerdem gerundete Panoramafrontscheiben und, wie der neue Cadillac, ein merkwürdiges Heck, mit Heckflossen wie das Leitwerk eines Jagdflugzeugs. Die Verkaufszahlen schossen in die Höhe, allein in der Zeit von 1954 bis 1955 um 37 Prozent. Nicht mehr Technik und Langlebigkeit standen im Vordergrund, sondern Design und Form.
    Jetzt brachen wirklich andere Zeiten an, dieses Gefühl vermittelten die Autos. Irgendwann in diesem Jahrzehnt veränderten sich plötzlich der Ton und die Mentalität der amerikanischen Gesellschaft, aus einer Überlebensgesellschaft wurde eine Konsumgesellschaft, aus einer Welt der Malocher wurde eine Welt der Genießer.
    Die Einrichtung in den Häusern stammte noch zu einem großen Teil aus den dreißiger und vierziger Jahren, doch inmitten der bräunlichen Möbel und der gehäkelten Deckchen entwickelte sich ein anderer Lebensstil, mit allen Elementen der alten Bescheidenheit und zugleich erfüllt von einer Art fröhlichem Erstaunen. »In welchem Märchenland sind wir denn jetzt gelandet?« Das war die allgemeine Stimmung.
    Es waren die Jahre des sogenannten Babybooms. Die Geburtenraten stiegen um fast 50 Prozent – und sie blieben hoch bis zum Ende der fünfziger Jahre. 1957, auf dem Höhepunkt des Babybooms, bekamen 123 von 1000 Frauen ein Kind, ein in der amerikanischen Geschichte beispielloser Prozentsatz. Und all diese kleinen Kinder wuchsen in bislang nicht gekanntem Wohlstand auf. »Nie zuvor gab es ein wunderbareres Land als Amerika«, schrieb der britische Historiker Robert Payne nach einem Besuch im Jahr 1949. »Es sitzt rittlings auf der Welt, wie ein Koloss; nie zuvor in der Weltgeschichte hat es eine Macht mit so großem und allumfassenden Einfluss auf andere Länder gegeben. Die Hälfte des weltweiten Vermögens, mehr als die Hälfte der globalen Produktivität und fast zwei Drittel aller überhaupt existierenden Maschinen sind in amerikanischer Hand. Die übrige Welt liegt im Schatten der amerikanischen Industrie …« Dies war The American Century , und so sollte es bleiben.
    Ein paar Zahlen, die für sich sprechen: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrug die durchschnittliche Lebenserwartung eines weißen Amerikaners kaum mehr als 50 Jahre, bei Farbigen lag sie bei etwa 35. Die Amerikaner gaben fast doppelt so viel Geld für Begräbnisse wie für Medikamente aus; ein halbes Jahrhundert später war es genau umgekehrt. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag nun bei 70 Jahren, auch für Farbige. Das nationale Einkommen stieg während der fünfziger Jahre um beinahe ein Drittel. 1956 verfügte ein amerikanischer Teenager über ein wöchentliches Einkommen von 10 Dollar und 25 Cent. Das war mehr, als das freiverfügbare Einkommen einer Durchschnittsfamilie im Jahr 1940. Die Mittelschicht – der Teil der Bevölkerung also, der Geld für nicht notwendige Dinge ausgeben kann – umfasste nahezu die Hälfte der amerikanischen Haushalte.
    Das Leben war ganz offensichtlich fromm und brav. Fast 60 Prozent der amerikanischen Familien besaß ein eigenes Haus – das hatte es vorher nie gegeben. Die Scheidungsrate war auffallend niedrig; im Jahr 1958 wurden exakt 8,9 von 1000 Ehen geschieden. Laut
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher