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Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Titel: Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
Autoren: Elizabeth Peters
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1. Kapitel

    »Ich habe dir doch gesagt, es ist ein hirnrissiger Plan!«
     
    Die Hände in die Hüften gestemmt, stand Emerson da und starrte den darniederliegenden Wiederkäuer fassungslos an. Ein mitfühlender Freund (wenngleich zweifelhaft ist, ob Kamele über mitfühlende Freunde verfügen) hätte Trost in dem Umstand gefunden, daß der Sand rund um die Stelle seines Dahinscheidens kaum aufgewühlt war. Wie seine Artgenossen in unserer Karawane, von denen allein es übriggeblieben war, hatte das Tier plötzlich innegehalten, war in die Knie gesunken und hatte still und friedlich das Zeitliche gesegnet. (Ein Verhalten, das, wie ich hinzufügen darf, für Kamele – ganz gleich ob lebendig oder todgeweiht – äußerst untypisch ist).
    Auch für Emerson ist ein solches Verhalten untypisch. Diejenigen Leser, die bereits persönlich oder anhand meiner früheren Werke Gelegenheit hatten, die Bekanntschaft meines hochgeschätzten Gatten zu machen, wird seine Reaktion auf den Tod des Kamels nicht weiter überraschen: Er tat, als habe das Tier Selbstmord begangen, und zwar einzig und allein in der Absicht, ihm Unannehmlichkeiten zu bereiten. Die Augen in seinem markanten, gebrannten Gesicht blitzten wie zwei Saphire, als er sich den Hut vom Kopf riß, ihn in den Sand schleuderte und ihm einen Tritt versetzte, so daß er ein gutes Stück weit fortflog. Dann richtete er seinen lodernden Blick auf mich.
    »Verdammt, Amelia! Ich habe dir doch gesagt, es ist ein hirnrissiger Plan!«
    »Ja, Emerson, das stimmt«, erwiderte ich. »In genau diesen Worten, wenn ich mich recht entsinne. Und falls du dich an unser erstes Gespräch über diese Unternehmung erinnern solltest, wirst du vielleicht noch wissen, daß ich damals deine Meinung teilte.«
    »Was …« Emerson drehte sich einmal um die eigene Achse. Grenzenlos und kahl erstreckte sich die karge, brettebene Wüste bis hin zum Horizont. »Was zum Teufel tun wir dann hier?« brüllte er.
    Das war eine durchaus vernünftige Frage, die sich wahrscheinlich auch dem Leser dieser Geschichte aufdrängen wird. Professor Radcliffe Emerson, Mitglied der Londoner Akademie der Wissenschaften, Angehöriger der Britischen Akademie, Doktor der Rechte (Edinburgh), Doktor der keltischen Literatur (Oxford), Mitglied der Amerikanischen Philosophischen Gesellschaft und so weiter und so fort und überdies angesehenster Ägyptologe aller Zeiten, war jedoch häufig an ungewöhnlichen, wenn nicht sogar eigenartigen Orten anzutreffen. Nie werde ich den zauberhaften Augenblick vergessen, als ich ihn in einer Höhle inmitten einer einsamen Klippenlandschaft nahe des Nils vorfand: Er fieberte stark, brauchte dringend Hilfe und war zu schwach, sich dagegen zu wehren. Das Band, das durch meine fachkundige Pflege zwischen uns entstand, wurde durch die später gemeinsam überstandenen Gefahren unauflöslich. Und nach einer angemessenen Zeit heiratete ich ihn. Seit diesem denkwürdigen Tag haben wir an allen bedeutsamen Stätten Ägyptens Ausgrabungen durchgeführt und unsere Entdeckungen in unzähligen Publikationen festgehalten. Die Bescheidenheit verbietet mir, meinen Anteil an unserem wissenschaftlichen Ruhm allzusehr hervorzuheben. Allerdings hätte Emerson als letzter abgestritten, daß wir stets an einem Strang zogen – sowohl in der Archäologie als auch in der Ehe.
    Hand in Hand (natürlich nur bildlich gesprochen) hatten wir Ägypten von den sandigen, verlassenen Gräberfeldern in Memphis bis zur Nekropolis in Theben durchquert und waren dabei auf Gegenden gestoßen, die fast ebenso unwirtlich waren wie die Wüste, die uns im Augenblick umgab. Jedoch hatten wir uns nie zuvor weiter als einige Kilometer vom Nil und seinen lebenspendenden Wassern entfernt. Nun lag der Fluß weit hinter uns. Keine Pyramide, kein Überrest einer Mauer waren zu sehen, geschweige denn ein Baum oder ein Anzeichen dafür, daß hier Menschen lebten. Was wollten wir eigentlich hier? Ohne Kamele waren wir buchstäblich Gestrandete in einem Meer aus Sand. Nur, daß unsere Lage nun einiges verzweifelter aussah als die von Schiffbrüchigen.
    Ich setzte mich auf den Boden und lehnte mich an das Kamel. Die Sonne stand hoch am Himmel, und außer dem armen Tier gab es nichts, was mir hätte Schatten spenden können. Emerson lief schimpfend auf und ab und wirbelte Sand auf. Sein Talent für Verbalinjurien hatte ihm bei unseren ägyptischen Arbeitern den Ehrentitel »Vater der Flüche« eingebracht, und diesmal übertraf er sich
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