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Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Titel: Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
Autoren: Elizabeth Peters
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Lehrveranstaltungen und Vorträge und der Fertigstellung der letztjährigen Ausgrabungsberichte bereiteten wir uns allmählich auf unsere jährliche Winterexpedition nach Ägypten vor. Emerson saß an seinem Schreibtisch; ich schritt, die Hände auf dem Rücken, rasch im Zimmer auf und ab. Die Büste von Sokrates – seltsam schwarz gefleckt, da Emerson die Angewohnheit hatte, seinen Füllfederhalter nach ihr zu werfen, wenn ihm die Inspiration versagt blieb oder ihn sonst etwas verärgerte – beobachtete uns mit gütigem Blick.
    Unser Gespräch drehte sich, so glaubte ich damals zumindest, um die zukünftige intellektuelle Entwicklung unseres Sohnes.
    »Ich teile deine Vorbehalte gegen Privatschulen aus ganzem Herzen, Emerson«, versicherte ich ihm. »Aber der Junge muß irgendwo und irgendwann irgendeine Form von Schulbildung erhalten. Er wächst auf wie ein kleiner Wilder.«
    »Du gehst zu hart mit dir ins Gericht«, nuschelte Emerson und versenkte den Blick in der Zeitung.
    »Er hat sich gebessert«, räumte ich ein »Er redet nicht mehr soviel wie früher und hat sich schon seit einigen Wochen nicht mehr in Lebensgefahr gebracht. Doch er hat keine Ahnung vom Umgang mit Gleichaltrigen.«
    Emerson runzelte die Stirn. »Aber, aber, Peabody, das ist nicht richtig. Letzten Winter mit Ahmeds Kindern …«
    »Natürlich spreche ich von englischen Kindern, Emerson.«
    »An englischen Kindern ist nichts Natürliches. Mein Gott, Amelia, in unseren Privatschulen gibt es ein Kastensystem, schlimmer als in Indien, und die auf den unteren Sprossen der Leiter werden schrecklicher gequält als jeder Unberührbare. Und falls du seinen Umgang mit Angehörigen des anderen Geschlechts meinst, hoffe ich nur, daß du Ramses nicht an Freundschaften mit Mädchen hindern willst. Genau darauf zielen Privatschulen bekanntermaßen ab.« Emerson war nun richtig in Fahrt gekommen. Er sprang auf, so daß Papiere in alle Richtungen stoben, und fing an, ebenfalls auf und ab zu laufen, wobei sein Weg den meinen im rechten Winkel kreuzte. »Verdammt, manchmal frage ich mich, wie es die sogenannten besseren Leute in diesem Land überhaupt schaffen, sich zu vermehren. Wenn ein junger Bursche die Universität verläßt, fürchtet er sich derart vor Mädchen seiner Gesellschaftsschicht, daß er fast nicht mehr in der Lage ist, ein vernünftiges Wort mit ihnen zu wechseln! Und wenn er es täte, würde er ohnehin keine vernünftige Antwort bekommen, denn die Schulbildung von Frauen, wenn man sie überhaupt so nennen kann – Autsch! Entschuldige, Liebling. Habe ich dir weh getan?«
    »Nicht im geringsten.« Ich nahm die Hand, die er mir entgegenstreckte, um mir beim Aufstehen zu helfen. »Aber wenn du darauf bestehst, während deines Vortrags auf und ab zu laufen, solltest du neben mir hergehen, anstatt meinen Weg im rechten Winkel zu kreuzen. Der Zusammenstoß war unvermeidlich.«
    Seine finstere Miene ging in ein sonniges Lächeln über, und er umarmte mich liebevoll. »Solange es bei dieser Art von Zusammenstößen bleibt. Komm schon, Peabody, du weißt, daß wir beide einer Ansicht sind, was die Unzulänglichkeiten unseres Bildungssystems betrifft. Du willst doch nicht, daß die Persönlichkeit des Kindes gebrochen wird?«
    »Nur ein wenig zurechtgebogen«, sagte ich leise. Allerdings ist es so schwer, Emerson zu widerstehen, wenn er lächelt und … Ganz gleich, was er tat; ich möchte nicht mehr sagen, als daß er saphirblaue Augen, dichtes, schwarzes Haar und eine Figur so muskulös wie die eines griechischen Athleten hat – nicht zu vergessen das Grübchen in seinem Kinn und die Begeisterung, mit der er seinen ehelichen Pflichten nachkommt … Nun, ich glaube, ich brauche nicht deutlicher zu werden. Doch ich bin mir sicher, jede Frau mit gesundem Menschenverstand wird begreifen, warum mich Ramses Schulbildung plötzlich nicht mehr interessierte.
    Nachdem Emerson sich wieder gesetzt und zur Zeitung gegriffen hatte, wandte ich mich erneut diesem Thema zu, jedoch in weitaus milderer Stimmung. »Mein lieber Emerson, deine Überredungskünste – genauer gesagt, deine Argumente – sind sehr wirksam. Ramses könnte in Kairo zur Schule gehen. Es gibt dort eine neue Akademie für junge Gentlemen, über die ich Gutes gehört habe. Und da wir in Sakkara Ausgrabungen durchführen werden …«
    Die Zeitung, hinter die Emerson sich zurückgezogen hatte, raschelte laut. Ich hörte auf zu sprechen und wurde von einer schrecklichen Vorahnung ergriffen –
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