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Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Titel: Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
Autoren: Elizabeth Peters
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wirtschaftlichen und militärischen Gründe, die zu der Entscheidung führten, den Sudan zu erobern, sind zu komplex, um sie hier zu erörtern. Es sei nur so viel gesagt, daß der Feldzug 1896 begann. Im Herbst des folgenden Jahres rückten unsere Streitkräfte unter der Führung des heldenhaften Kitchener, den man inzwischen Sirdar der ägyptischen Armee nannte, zum Vierten Katarakt vor.
    Aber was, mag man fragen, hatten diese welterschütternden Ereignisse mit den Winterplänen zweier unschuldiger Ägyptologen zu tun? Ich kannte die Antwort nur zu gut und ließ mich auf einen Stuhl neben den Schreibtisch sinken. »Emerson«, begann ich. »Emerson, ich flehe dich an. Sag mir jetzt nicht, du willst diesen Winter im Sudan graben.«
    »Meine liebe Peabody!« Emerson schleuderte die Zeitung beiseite und richtete seinen leuchtenden Blick unverwandt auf mich. »Du weißt ganz genau, daß ich schon seit Jahren in Napata oder Meroë Ausgrabungen vornehmen will. Schon im letzten Jahr hätte ich mich daran gemacht, hättest du nicht so ein Theater veranstaltet – oder wärest du bereit gewesen, mit Ramses in Ägypten zu bleiben, während ich mich an die Arbeit machte.«
    »Um auf die Nachricht zu warten, daß sie deinen Kopf auf eine Stange gespießt haben wie Gordons«, meinte ich leise.
    »Unsinn. Für mich hätte keine Gefahr bestanden. Einige meiner besten Freunde waren Anhänger des Mahdi. Aber ganz gleich«, fuhr er rasch fort, um meinem Widerspruch zuvorzukommen, der mir schon auf den Lippen lag. Nicht, daß ich an der Wahrheit seiner Worte gezweifelt hätte; Emerson hat Freunde in den merkwürdigsten Winkeln der Erde. Allerdings hatte ich Einwände gegen den Plan als solchen. »Inzwischen hat sich die Situation völlig geändert, Peabody. Die Region um Napata ist bereits in ägyptischer Hand. Wenn Kitchener mit der jetzigen Geschwindigkeit weiter vorrückt, hat er zum Zeitpunkt unserer Ankunft in Ägypten Khartum erobert, und Meroë, mein Hauptziel, liegt nördlich von Khartum. Es besteht keine Gefahr.«
    »Aber Emerson …«
    »Pyramiden, Peabody.« Emersons Stimme sank zu einem verführerischen Knurren. »Königspyramiden, die noch kein Archäologe gesehen hat. Die Pharaonen der Fünfundzwanzigsten Dynastie waren Nubier – stolze Männer und Soldaten, die vom Süden aus losmarschierten, um die verkommenen Herrscher eines dekadenten Ägyptens zu stürzen. Diese Helden wurden in ihrer Heimat Kusch begraben – früher Nubien, heute der Sudan …«
    »Das weiß ich, Emerson, aber …«
    »Nachdem Ägypten seine Unabhängigkeit an die Perser, die Griechen, die Römer und die Moslems verloren hatte, entstand im Kusch ein blühendes Königreich«, fuhr Emerson poetisch – und ein wenig ungenau – fort. »Die ägyptische Kultur überlebte in einem fernen Land – der Region, aus der sie meiner Meinung nach eigentlich stammt. Stell dir vor, Peabody! Wir würden nicht nur die Weiterentwicklung dieser großen Zivilisation erforschen können, sondern vielleicht auch ihre Wurzeln …«
    Er wurde von Gefühlen übermannt. Die Stimme versagte ihm, seine Augen wurden feucht – Nur zwei Dinge konnten Emerson in einen solchen Zustand versetzen. Eines davon war die Vorstellung, sich an einen Ort zu begeben, wo noch kein Wissenschaftler vor ihm jemals gewesen war, und neue Welten, neue Zivilisationen zu entdecken. Brauche ich noch zu betonen, daß auch ich diesen edlen Drang verspürte? Nein. Mein Puls beschleunigte sich. Ich spürte, wie meine Vernunft vor der Leidenschaft seiner Worte die Waffen streckte. Nur ein letzter Rest gesunden Menschenverstandes ließ mich murmeln: »Aber …«
    »Kein >aber<, Peabody.« Er nahm meine Hände in die seinen – diese kräftigen, gebräunten Hände, die Hacke und Schaufel mit mehr Schwung handhaben konnten, als es einer seiner Arbeiter vermochte, und die doch in der Lage waren, mich so unglaublich sanft zu berühren. Er sah mir in die Augen; ich hatte das Gefühl, daß die gleißenden, saphirblauen Strahlen direkt in mein verwirrtes Gehirn drangen. »Du willst das gleiche wie ich, das weißt du ganz genau, Peabody, mein Liebling – diesen Winter in Meroë!«
    Er zog mich hoch und nahm mich wieder in seine kräftigen Arme. Ich sagte nichts mehr. Oder besser, ich konnte nichts mehr sagen, da er seine Lippen auf meine preßte. Nun gut, Emerson, ich komme mit – aber Ramses bleibt in der Akademie für junge Gentlemen in Kairo.
     
    Ich irre mich selten. Und wenn ich mich doch einmal irren
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