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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman
Autoren: E. O. Wilson
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weg und drehte sie langsam in einem Halbkreis nach rechts, wie er es tun würde, wenn er auf einen vorbeiziehenden Truthahn zielte.
    «Alles klar dann! Wir sind bereit fürs Feuern. So einfach ist das. Eins, zwei, drei, peng, Truthahn tot.»
    Raff glaubte nicht, dass es so einfach sein würde, und mit jedem Augenblick wuchs sein Unbehagen bei der ganzen Sache.
    Ainesley wiegte das Gewehr unter seinem rechten Arm, die Läufe zeigten nach unten und leicht vorwärts vor seine Füße. Er stapfte auf dem Pfad los, und ohne sich umzusehen, fuhr er in seinem Vortrag fort. Die Jungen gingen schneller, um ihn einzuholen.
    «Tragt ein Gewehr immer so wie ich jetzt. Wenn ihr stolpert und hinfallt, oder wenn euch aus Versehen jemand anstößt, erschießt ihr so weder ihn, noch jagt ihr euren eigenen verdammten Blödkopp in die Luft.»
    Er zögerte, dann fügte er hinzu: «Merkt euch auch das hier, das ist wirklich wichtig. Schaut bei jedem Schritt, wo ihr hintretet.»
    So ging es mehrere hundert Meter auf dem Pfad weiter, den bald schon dichte nachwachsende Jungkiefern und Eichen säumten. Bald kamen sie an einen seichten Tümpel, der teilweise von Drahtschilfgras bedeckt und von faulenden Kiefernstümpfen durchsetzt war. ZweiVirginiawachteln brachen plötzlich hinter einem der Baumstümpfe hervor und flogen durch die Bäume auf der anderen Seite davon.
    «Von denen bekommt man nicht mehr viele zu sehen», sagte Ainesley. «Seit sie angefangen haben, Kojoten und Hühnerhabichte und dieses ganze Getier unter Naturschutz zu stellen, werden die allermeisten Virginiawachteln aufgefuttert, bevor sie auch nur aus dem Nest raus sind.»
    Undeutlich hörte man von den Baumwipfeln in einer Meile Entfernung Krähen schreien. Hoch über ihnen kreiste ein Truthahngeier, seine Flügel waren steif und reglos, die Schwanzfedern waren aufgestellt. Die Luft auf der Lichtung war ruhig und trocken. Die Sonnenhitze prallte von den harten Stellen nackten Bodens zurück, und die Luft um sie herum war ohne Bewegung und unangenehm heiß.
    Ainesley wandte sich zu Junior um und reichte ihm seitwärts die Flinte, so dass der Junge sie mit gespreizten Händen greifen konnte.
    «So ist es gut, so macht man es, damit man nicht abrutscht und das Ding fallen lässt. Als Nächstes schießt du.»
    Junior sah ihn verwirrt an. «Was mache ich?»
    «Nur keine Panik. Geh es einfach langsam an. Du hältst den Lauf hier mit der Linken, und deine Rechte geht hier hinter den Abzugsbügel. Jetzt hebst du die Flinte vorsichtig an und richtest sie ganz gerade aus. Zieh das Gewehr fest in deine rechte Schulter. So gibt es dir, wenn du feuerst, zwar einen Stoß, aber es bricht dir nicht die Schulter. Du bist doch Rechtshänder, oder? Also, dann bist du fertig.»
    Junior war Linkshänder. Aber er wollte eine schon heikle Situation nicht noch dadurch komplizierter machen, dass er jetzt herumkrittelte. Er hatte noch nie in seinem Leben eine Waffe in der Hand gehabt. Sein Vater jagte nicht, und die einzige Waffe, die er besaß, einen alten .38er Revolver, hielt er streng unter Verschluss, die Kugeln versteckte er in seiner Schreibtischschublade. Junior hantierte so gut es ging mit dem Gewehr, aber so behutsam wie mit einer toten Schlange.
    «Jetzt legst du», sagte Ainesley, «ganz vorsichtig den rechten Zeigefinger an den Abzug. Noch nicht drücken! Halt das Gewehr ganz fest. Jetzt wollen wir auf diesen alten Kiefernstumpf da drüben zielen.» Junior schloss die Augen. Er presste die Lippen aufeinander, sein Atem ging schnell und flach.
    Ainesley legte Junior sachte eine Hand auf die linke Schulter und fuhr im Unterricht fort.
    «Bevor du schießt, lass dich noch einmal warnen: Es wird laut, und es gibt einen Rückstoß gegen deine Schulter. Aber keine Angst, wehtun wird es dir nicht. Lass dir davon nicht Bange machen. Du bist nicht der Truthahn. Egal, was du tust,
lass nur dieses Gewehr nicht fallen

    Raff war froh, dass sein Vater mit dem anderen Jungen angefangen hatte. Ihm kam die Flinte fast so groß vor wie er selbst. Vielleicht hätte Ainesley nach der einen Vorführung mit Junior genug, und sie konnten alle weitergehen. Er dachte sich, wenn sie einem Truthahn begegneten, würde Ainesley sicher selbst schießen. Dann bräuchte Raff nichts anderes zu tun, als zuzusehen. Unterdessen machte er sich jedenfalls erst einmal unsichtbar. Unauffällig trat er zurück bis zu einer kleinen Kiefer und stellte sich halb dahinter.
    Ainesley legte Junior seine Arme um die Schulter
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