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Ambient 03 - Ambient

Ambient 03 - Ambient

Titel: Ambient 03 - Ambient
Autoren: Jack Womack
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Mehrere Düsenmaschinen zogen über uns hinweg ostwärts, nach Long Island.
    »Wir machen's kurz, Jimmy«, sagte Mister Dryden.
    »In Ordnung«, sagte Jimmy und nahm neben dem Wagen eine bequeme Haltung ein. Er trug einen dunkelblauen Marine-Brückenmantel, der dreißig Pfund wiegen mußte; zu warm für das Wetter, dachte ich, aber er trug ihn immer. Aus ästhetischen Gründen hatte er Kragenspiegel der Waffen-SS mit Totenkopf und gekreuzten Knochen auf die Schultern genäht, und auf den Rücken einen Flicken mit dem Löwen von Juda, dem Herrschersymbol der äthiopischen Könige. Sein in dicke Schnüre geflochtenes Haar fiel ihm bis auf den Kragen. An der linken Hand trug er einen Schlagring mit Rasiermesserklingen. Neben ihm zu stehen, war entnervend. Ich bin groß, aber Jimmy war prachtvoll; ich reichte ihm bis ans Kinn. Es war gut zu wissen, daß Jimmy in der Theorie mit uns und nicht gegen uns arbeitete; trotzdem konnte man sich nur auf sich selbst verlassen. Jeder Wurm kann sich umwenden und zustoßen, und ich hatte das Gefühl, daß Jimmy nur auf den rechten Augenblick wartete, um zuzuschlagen.
    Am Eingang zum Gebäude rief Mister Dryden einem gerade eintreffenden Herren einen Gruß zu. Es war ein unvertrautes Gesicht, wahrscheinlich ein Ersatzmann für jemanden. Er hatte eine Leibwache bei sich, die ihn auf Tuchfühlung umringte; die Männer trugen graue Anzüge. Dies bedeutete, daß er bloß ein bourgeoiser Mittelsmann war und mühelos ersetzt werden konnte, wenn der Tag es verlangte. Nur Besitzer und ihre unmittelbaren Untergebenen trugen dunkelblaue Nadelstreifen; es war anderen nicht verboten, doch hätte man es bestenfalls als unmanierlich empfunden.
    »Tom«, sagte Mister Dryden. »Geht's gut, Junge?«
    »Sehr gut, Sir.«
    Tom sah dreißig Jahre älter aus als Mister Dryden.
    »Konferenzbereit?«
    »Ja, Sir.«
    Wir betraten die Eingangshalle. Avalon rollte voraus, sauste um die Topfpflanzen und Schauvitrinen mit Erzeugnissen der Dryco: elektronische Geräte, Sportartikel, Künstlerbedarf, Kassetten, Telefonsysteme, Militärwaffen, landwirtschaftliche Geräte, optische Erzeugnisse, Kraftfahrzeugteile, Lasergeräte, Industrieroboter und Kunststoffstatuen von E. Dryco beherrschte direkt oder indirekt etwa vierzig Prozent der amerikanischen Produktion und war an weiteren dreißig Prozent beteiligt.
    Ein seidenes Banner hing von der Decke und wallte sanft im Luftzug der Klimaanlage. Es verkündete in großen Druckbuchstaben die dryconische Ethik:
     
    NICHT SORGEN, NICHT WUNDERN
     
    Wir hielten am Zeitungsstand. Der Inhaber, ein alter Mann mit krummen Beinen und wacklig von Rachitis, blätterte in El Newsweek. Ich nahm die zwei Tageszeitungen – die New York Times und USA People – vom Stapel und ließ die zwei Cents in seine Hand fallen. In einem bewachten Winkel wartete Mister Drydens Aufzug.
    »Auf«, sagte er und drückte die flache Hand gegen den abdruckcodierten Monitor; die Tür ging auf. Wir traten ein und wurden zum fünfundsechzigsten Stockwerk emporgehoben. Die meisten Aufzüge hatten Vidiac-Übertragungsgeräte, aber nicht Mister Drydens; wir hatten nichts als einander anzuschauen.
    »Normales Vormittagstreffen, OM«, sagte Mister Dryden. Er schwankte ein wenig im Stehen, als ob die zunehmende Höhe seinen Gleichgewichtssinn beeinträchtigte. »Sie können sich davonmachen. Drei Verträge und ein Intrapersonal. Nichts Besonderes.«
    »Kein Problem«, sagte ich. An den meisten wichtigen Geschäftsbesprechungen nahm ich mit Mister Dryden teil, um ihn zu beraten und Mordanschläge zu verhüten. Auf den meisten Gebieten wußte ich über die inneren Zusammenhänge und die Arbeitsweise des Konzerns ebensoviel wie er – auf den meisten, aber nicht allen. Ein Gebiet blieb ein Rätsel, und ich ahnte damals schon, daß es dies immer bleiben würde. Es war etwas, was die Familie für sich behielt, wie der in der Dachstube eingesperrte verrückte Onkel – doch was es auch war, es mußte sehr viel nützlicher als dieser sein.
    »Wen triffst du?« fragte Avalon, machte Geräusche mit ihrem Strohhalm und kicherte; die Flasche hatte sie in die Armbeuge gesteckt. Je mehr sie trank, desto stärker wurde ihr Akzent. Sie war in Washington Heights geboren. Ihre Eltern waren Engländer, mit dem Umweg über Barbados – oder vielleicht umgekehrt. Ihr eigentlicher Name war Judy – Judy Soundso; sie nannte ihren Familiennamen nie. Die meisten Proxies verlieren während der Zeit, die sie auf dem Strich verbringen,
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