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Am Ufer

Am Ufer

Titel: Am Ufer
Autoren: Paulo
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Baskenland lag und es viele terroristische Attentate gab. Die Schritte näherten sich.
    »Komm«, sagte er und ging noch schneller.
    Doch es war zu spät. Ein Mann stellte sich, naß von Kopf bis Fuß, zwischen uns.
    »Halten Sie, bitte!« sagte der Mann. »Um Gottes willen.«
    Ich hatte eine Heidenangst, spähte nach einem Fluchtweg, einem Polizeiwagen, der vielleicht gerade wie durch ein Wunder plötzlich auftauchen würde. Instinktiv ergriff ich seinen Arm – doch er löste meine Hände.
    »Bitte!« sagte der Mann. »Ich habe erfahren, daß Sie heute in der Stadt sind. Ich brauche Ihre Hilfe. Es geht um mein Kind.«
    Der Mann begann zu weinen und kniete nieder.
    »Bitte!« sagte er. »Bitte!«
    Er atmete tief durch, senkte den Kopf und schloß die Augen. Während er schwieg, hörte man nur noch das Rauschen des Regens und die Schluchzer des auf dem Fußweg knienden Mannes.
    »Geh ins Hotel, Pilar«, sagte er schließlich. »Und schlaf. Ich komme wahrscheinlich erst im Morgengrauen zurück.«

Montag, 6. Dezember 1993
    Liebe hat viele Fallstricke. Wenn sie sich uns zeigt, sehen wir nur ihr Licht und nicht ihre Schattenseiten.
    »Schau sie dir an, die Welt um uns herum«, sagte er. »Wir sollten uns auf die Erde legen und den Herzschlag des Planeten hören.«
    »Später«, sagte ich, »ich kann doch nicht die einzige Jacke schmutzig machen, die ich mithabe.«
    Wir wanderten über olivenbaumbestandene Hügel. Nach dem gestrigen Regen in Bilbao war die Morgensonne fast unwirklich. Ich hatte keine Sonnenbrille dabei – nichts hatte ich dabei, denn ich hatte ja eigentlich noch am selben Tag wieder nach Saragossa zurückfahren wollen. Als Nachthemd mußte ich ein Hemd von ihm ausleihen. In einem Laden gleich an der Ecke beim Hotel kaufte ich ein T-Shirt, um wenigstens das waschen zu können, was ich auf dem Leib hatte.
    »Du wirst mich noch satt kriegen, immer in denselben Kleidern«, sagte ich scherzend, um zu sehen, ob mich ein banaler Satz wieder in die Wirklichkeit zurückholte.
    »Ich bin glücklich, daß du bei mir bist.«
    Er hat nicht wieder von Liebe gesprochen, seit er mir die Medaille gegeben hat, doch er ist gut gelaunt, wirkt wieder wie achtzehn. Er geht neben mir her, wie ich in die Helligkeit dieses Morgens getaucht.
    »Und was mußt du dort tun?« fragte ich, indem ich auf die Pyrenäen am Horizont deutete.
    »Hinter diesen Bergen liegt Frankreich«, antwortete er lächelnd.
    »Ich habe in Geographie aufgepaßt. Ich möchte nur wissen, warum wir dorthin müssen.«
    Er schwieg geraume Zeit, lächelte nur.
    »Ich möchte dir ein Haus zeigen. Vielleicht interessiert es dich.«
    »Wenn du mir ein Haus vermitteln willst, bist du bei mir an der falschen Adresse. Ich habe kein Geld.«
    Mir war es gleichgültig, ob wir ein Dorf in Navarra besuchten oder nach Frankreich fuhren. Hauptsache, ich verbrachte die Feiertage nicht in Saragossa.
    ›Siehst du‹, hörte ich meinen Kopf zu meinem Herzen sagen, ›du bist glücklich, daß du das Angebot angenommen hast. Du hast dich verändert und merkst es nicht einmal.‹
    Nein, ich habe mich nicht verändert. Ich bin einfach nur entspannter.
    »Sieh dir einmal die Steine am Boden an.«
    Sie sind abgerundet wie Kiesel am Meer, obwohl das Meer nie bis zu den Feldern von Navarra gereicht hat.
    »Die Füße der Arbeiter, der Pilger, der Abenteurer haben diese Steine geformt«, sagt er. »Sie haben sich verändert, und die Wanderer auch.«
    »Haben dich die Reisen alles gelehrt, was du weißt?«
    »Nein. Es waren die Wunder der Erleuchtung.«
    Ich verstehe ihn nicht, will aber auch nicht genauer wissen, was er meint. Ich bin vollgesogen mit Sonne, erfüllt von der Landschaft, den Bergen am Horizont.
    »Wohin gehen wir jetzt?« frage ich.
    »Nirgendwohin. Wir genießen einfach nur den Morgen, die Sonne, die schöne Landschaft. Wir haben eine lange Autofahrt vor uns.«
    Dann zögert er einen Augenblick und fragt dann: »Hast du die Medaille?«
    »Ja«, sage ich und gehe schneller. Ich möchte nicht, daß er davon spricht, es könnte die Freude und die Unbeschwertheit dieses Morgens zerstören.
    Eine Ortschaft taucht auf. Sie liegt hoch oben auf einem Hügel wie eine mittelalterliche Stadt, und ich kann sogar aus der Entfernung den Kirchturm und eine Burgruine sehen.
    »Laß uns dorthin gehen«, bitte ich.
    Er zögert wieder, willigt jedoch ein. Eine Kapelle liegt am Weg, und ich möchte gern eintreten. Ich kann zwar nicht mehr beten, aber die Stille in den Kirchen beruhigt
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