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Am Ufer

Am Ufer

Titel: Am Ufer
Autoren: Paulo
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geben?
    Nichts. Ich war doch nicht dazu auf die Welt gekommen, den Rest meines Lebens hinter einem Tisch zu sitzen und den Richtern dabei zu helfen, ihre Prozeßakten abzufertigen.
    Ich darf nicht so über mein Leben denken. Ich muß schließlich noch in dieser Woche wieder zu ihm zurückkehren.‹
    Es mußte am Wein liegen. Wer nicht arbeitet, hat nichts zu beißen.
    ›Es ist alles nur ein Traum. Irgendwann werde ich aufwachen. Doch wie lange werde ich diesen Traum weiterträumen können?‹ Ich spielte zum ersten Mal mit dem Gedanken, ihn in die Berge zu begleiten. Schließlich lag ja eine Woche mit mehreren Feiertagen vor uns.
    »Und wer bist du?« fragte mich eine schöne Frau, die mit an unserem Tisch saß.
    »Eine Jugendfreundin«, antwortete ich.
    »Machte er das schon als Kind?« fuhr sie fort.
    »Was denn?«
    Es war, als würden die Gespräche am Tisch plötzlich leiser werden, verstummen.
    »Du weißt schon«, beharrte die Frau. »Die Wunder.«
    »Er konnte immer schon gut reden«, antwortete ich, ohne begriffen zu haben, was sie meinte.
    Alle lachten, auch er, und ich wußte nicht, warum. Doch der Wein hatte mich befreit, ich mußte nicht mehr alles im Griff haben.
    Ich schwieg, blickte in die Runde, machte eine launige Bemerkung zu irgend etwas, vergaß aber gleich wieder, wozu. Und dachte wieder an die Feiertage.
    Es tat so gut, dort zu sein, neue Leute kennenzulernen. Sie debattierten über ernste Dinge, machten aber gleichzeitig witzige Kommentare, ich hatte das Gefühl, an dem teilzuhaben, was in der Welt geschah. Zumindest war ich an diesem Abend nicht die Frau, für die sich das Leben nur im Fernsehen und in den Zeitungen abspielte.
    Bei meiner Rückkehr nach Saragossa würde ich viel zu erzählen haben. Wenn ich noch die Einladung über die Feiertage annahm, würden die Erinnerungen für ein ganzes Jahr reichen.
    ›Er hatte ganz recht, wenn er meinen Geschichten aus Soria nicht zugehört hat‹, überlegte ich. Und ich tat mir selbst leid: Seit Jahren lagen immer nur dieselben Geschichten in der Schublade meiner Erinnerung.
    »Trinken Sie noch ein bißchen«, sagte ein weißhaariger Mann und füllte mein Glas.
    Ich trank. Dachte daran, wie wenig ich meinen Kindern und Enkeln würde erzählen können.
    »Ich zähle auf dich«, sagte er so leise, daß nur ich es hören konnte. »Wir fahren nach Frankreich.«
    Der Wein hatte mir meine Hemmungen genommen, so daß ich frei heraus sagen konnte, was ich dachte.
    »Nur wenn eines ganz klar ist«, antwortete ich.
    »Was denn?«
    »Nun, was du vor dem Vortrag gesagt hast. Im Cafe.«
    »Die Medaille?«
    »Nein«, entgegnete ich, indem ich ihm in die Augen sah und versuchte, nüchtern zu wirken. »Was du gesagt hast.«
    »Darüber reden wir später.«
    Die Liebeserklärung. Wir hatten nicht die Zeit gehabt, darüber zu reden.
    »Wenn du willst, daß ich mit dir reise, mußt du mir zuhören«, sagte ich.
    »Hier möchte ich nicht darüber reden. Jetzt amüsieren wir uns gerade.«
    Ich ließ nicht locker: »Du bist früh aus Soria weggegangen. Ich bin nur etwas, was dich mit deinem Heimatort verbindet. Ich habe dir dabei geholfen, deinen Wurzeln nahe zu sein, und das hat dir die Kraft gegeben, deinen Weg zu gehen. Und das war alles. Mit Liebe hat das nichts zu tun.«
    Er hörte mir zu, ohne etwas zu sagen. Jemand fragte ihn nach seiner Meinung zu etwas, und so konnte ich das Gespräch nicht fortsetzen.
    ›Wenigstens habe ich ihm klar gesagt, was ich denke‹, sagte ich zu mir selbst. So eine Liebe konnte es nur im Märchen geben. Denn im wahren Leben muß die Liebe möglich sein. Auch wenn sie nicht sofort erwidert wird, kann sie nur überleben, wenn Hoffnung besteht, so gering sie auch sein mag, den geliebten Menschen zu erobern. Alles andere sind Hirngespinste.
    Als hätte er meine Gedanken erraten, hob er sein Glas und trank mir von der anderen Seite des Tisches zu: »Auf die Liebe!«
    Auch er war ein bißchen beschwipst. Ich beschloß, die Gelegenheit beim Schöpfe zu packen.
    »Auf die Weisen, die begreifen, daß bestimmte Arten von Liebe Kindereien sind«, sagte ich.
    »Der Weise ist nur deshalb weise, weil er liebt. Und der ist ein Narr, der glaubt, er verstünde die Liebe«, antwortete er.
    Die anderen am Tisch hatten diese Bemerkung gehört, und es begann sofort eine lebhafte Debatte über die Liebe. Alle hatten eine vorgefertigte Meinung, sie verteidigten ihre Ansicht mit Zähnen und Klauen, und es mußten mehrere Flaschen Wein geleert werden, um
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