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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition)
Autoren: Rafael Chirbes
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aus Kolumbien gewidmet oder den lieben Landsleuten aus Ecuador, allen Peruanern in Misent, Olba und Nachbardörfern, oder einem Guatemalteken, der schon wissen wird, wer ihm dieses Lied widmet, damit er weiß, dass er nicht vergessen ist. Sein wenig anmutiges Zwitschern ist zwischen dem Gehämmer der Verschaler und dem metallischen Klopfen der Schrottsammler zu hören.
    Die Kellner haben noch nicht die Teller mit den Krabbenschalen abgeräumt, aber bereits die Tässchen mit dampfendem Kaffee und die Gläser mit Cognac, Whisky oder Schlehenlikör hingestellt. Mein Nachbar zur Rechten, ein Maurer-Unternehmer, erzählt mir, dass er mit jeder Stunde, die dort gegenüber auf der Wanduhr vergeht, einen Geldregen in seinen Taschen zu hören glaubt. Ich höre das Klingeling, ich höre es, und das ist das vollkommene Glück, das wahre Paradies. Aber klar doch, Mann, nicht mehr Harfen und Engelsflügel, keine Schatten und Erscheinungsformen des Geistes, auch keine theologischen Abhandlungen, nein, das deine ist kein katholisches Paradies, eher ein Paradies nach mohammedanischem Zuschnitt: Süßigkeiten für den Gaumen, Menschenfleisch und Alkohol. Wie mir der schwatzhafte Unternehmer sagt, treibt er sich den Tag über herum, von hier nach da, vom Tisch zum Bett, und wenn Feierabend ist, rechnet er nach: Zwanzig Marokkis, Rumänen oder Kolumbianer oder ein Bündel Kerle unterschiedlicher Nationalität, das gibt bei acht Stunden pro Mann 160 Stunden. Vom Kunden kassiere ich – anteilig berechnet nach Hilfsarbeitern und Gesellen – rund 15 Euro die Stunde für jeden von ihnen, das ergibt etwa 2.400 Euro, den Hilfsarbeitern zahle ich sechs, sieben oder acht (eine Frage der Sympathie, hängt auch davon ab, wie lange er schon bei mir ist; seitdem ich auf eigene Rechnung arbeite und nicht mehr für das Arschloch Bertomeu, kann ich machen, wozu ich lustig bin. Ich bin mein eigener Unternehmer) und zwölf für die Gesellenstunde (nimm es, wenn du willst, sonst lass es), dabei kommt, anteilig, wie ich sagte, ein Mittel von acht Euro raus, das macht dann 1.280 Euro, wenn man die von den 2.400 abzieht, bleiben noch 1.120 Euro. Das heißt, dass mir an diesem angenehmen Nachmittag, kling kling kling, gut tausendeinhundertEuro frei von Staub und Stroh in die Geldkatze gefallen sind, das ist nicht schlecht, besonders wenn man bedenkt, dass ich über die Hälfte der Arbeiter nicht angemeldet und mit dem Rest abgesprochen habe, dass sie von dem, was sie netto auf die Hand kriegen, mir die Sozialbeiträge zahlen müssen. Bei diesem Punkt wird es dann schon schwierig, Rechnen ist nicht meine Stärke. Das macht dann das Rechenmaschinchen für mich. Die Sache ist die, brüstet sich der Maurer-Unternehmer, dass, während ich hier unter dem Luftstrom der Klimaanlage im Restaurant sitze, vor den schmutzigen Tellern, die der Kellner abräumt (vorsichtig, dass ja nicht der vergebliche Panzer des Hummers hinunterfällt), während ich diese Hände betrachte, die unsere Teller entfernen mit den Garnelenschalen, Gräten und Haut vom Zackenbarsch, Reiskörnern, die am irdenen Rand kleben, Brotkrumen und Aioliresten, ich immer noch das Geld klimpern höre, und deshalb bestelle ich gleich noch einen Whisky, um auf mein verdammtes Glück anzustoßen, und schlage der Tischrunde vor: Lasst uns ins Ladies gehen, oder zieht ihr das Lovers vor? Die haben noch nicht auf, lieber davor noch ein Tute-Spielchen oder einen Poker, ach, und in der Toilette habe ich noch eine Linie für dich, beeil dich, der Blödmann am Tresen geht sonst rein und sieht sie, der schnüffelt immer rum, will immer irgendwas herauskriegen. Das ist eben so, wenn man in einem Dorf wie Olba wohnt. Es gibt keine Diskretion. Und wieder ist die Stunde voll, und die Geldstücke klimpern ohne Unterlass in meine Hosentasche, so wie sie in die Schälchen der Spielautomaten fallen, wenn du es mit den Kirschen, Bananen oder Orangen getroffen hast; ich höre sie sogar klingen, die Glöckchen kleben an meinem Schenkel, jede Stunde sechzig oder siebzig Euro, kling, kling, klingelingeling, die drei Orangen, das ist wirklich die Sondernummer (und da sind noch nicht die zwanzig Eurolein pro Stunde drin, die ich mir hier verdiene, wo ich doch angeblich Verhandlungen führe, Materialien bestelle, die Logistik vorbereite, mich mit Dingen befasse, die für die Arbeit wichtig sind, ein Arbeitstreffen mit den Zulieferern, beispielsweise). Während der Whisky kalt wird, gehe ich einen Augenblick auf die Straße,
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