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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg
Autoren: Anna Katharina Hahn
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protestierte.
    Hajo kam mit einer blaugrauen Steingutschüssel voll Kartoffelsalat über die Terrasse gelaufen. Er war noch für die samstägliche Vormittagssprechstunde gekleidet in Streifenhemd und Anzughose und nickte Emil zu. »Peter ist immer noch beschäftigt. Jetzt macht er Wasserwechsel im Aquarium. Er sagt, wir sollen schon mal anfangen und ihm eine Rote reservieren. Er will noch einen Brief schreiben, sagt er.« Carla eilte ihrem Mann entgegen, nahm ihm die Schüssel aus der Hand, zupfte ein Petersiliensträußchen zurecht und stellte den Salat auf den Tisch. »Er schreibt einen Brief? An wen denn? Wenn er Mia schreibt, nach Italien, das kommt doch viel zu spät an, sag ihm, er kann den Computer …« Hajo ergriff die Handgelenke seiner Frau und hielt sie fest. Langsam schob er sie zum Tisch zurück und drückte sie in einen Stuhl. »Carla, ich bitte dich.« Er klopfte Emil auf die Schulter. »Schön habt ihr das gemacht, genau wie früher. Nur die Bäume sind höher geworden.« Er nahm die Bierflasche, die Emil ihm anbot, wischte sie an seinem Hemd ab, drückte den Bügel hoch, nahm einen langen Zug und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »Peter sollte noch keinen Alkohol trinken.« Emil zeigte stumm auf das Clausthaler in der Wanne. »Ja, ich sehe schon, ihr wißt inzwischen Bescheid. Ein gutes Team sind wir vier.«
    »Ja, das finde ich auch«, sagte Veronika und trat an den Tisch. Sie genoß sichtlich die begeisterten Ausrufe der anderen, als sie die leicht schwappende Bowle absetzte. In der durchscheinenden Flüssigkeit trieben Erdbeeren und die dunkelroten Stengel frischer Minze, dicht besetzt mit winzigen Kohlensäureperlen, die in langen Ketten vom Schüsselboden aufstiegen. Emil fuhr mit dem Zeigefinger über den gewölbten Glasdeckel, der mit Kleeblättern bemalt war. Zur Feier von Peters sehr mäßigem Abitur hatten Veronika und er in dieser Schale eine Bowle angesetzt. Die Walderdbeeren dafür hatte Emil auf einem Spaziergang rund um den Gängelbachweiher gesammelt. Auch Kullerpfirsiche waren serviert worden. Die dottergelben, mit Gabelstichen punktierten Früchte rotierten langsam in Veronikas Sektschalen. Peter kicherte in einem fort: »Besoffene Kugelfische!« Hajo weigerte sich, »diese schlechte Leistung auch noch zu begießen«, und Carla stimmte ihm zu. Beide blieben zunächst beleidigt im Haus, wo ihre vorwurfsvollen Schatten hinter den Wohnzimmergardinen umherhuschten, bis Veronika sie, den Daumen auf der Türglocke, in den Garten hinausscheuchte. Im Morgengrauen waren die Bubs in der Hollywoodschaukel erwacht: Veronika links, Emil rechts, Peter in der Mitte, alle mit taufeuchten Kleidern und einem fürchterlichen Kater. Ein paar Tage später hatte Peter sich dafür entschieden, die Logopädie-Ausbildung zu beginnen.
    Veronika setzte sich neben Emil. »Kaum zu glauben, gestern noch im Tal der Tränen und jetzt ein Gelage.« Sie hatte sich die Lippen dunkelrot geschminkt und trug ein schwarzes Wickelkleid, das vorne mit einer silbernen Brosche zusammengehalten wurde. Während sie die Bowle schöpfte, fand Emil sie sehr blaß. Ihr Haar war heute vollständig ohne Spray und fiel fedrig in die Stirn. Die Kelle klingelte leise gegen den Rand des Gefäßes, Erdbeeren plumpsten in die Gläser. Auf dem Dachfirst begann eine Amsel ihr Abendlied. Die vier prosteten sich schweigend zu und tranken mit andächtigen Schlucken. Hajo stellte sein Glas als erster ab. »Eben habe ich noch mal angesehen, was Mia geschrieben hat. Ihre halbe Lebensgeschichte. Vielleicht lest ihr es später auch. Trotzdem entschuldigt das nichts. Das muß man sich mal vorstellen, einfach abzuhauen, mit den Kindern. Von Rechts wegen dürfte sie das gar nicht. Eigentlich hätten wir gleich die Polizei …«
    Carla unterbrach ihn. »Hajo, das spielt jetzt wirklich keine Rolle. Wichtig ist nur der letzte Abschnitt.« Sie holte Luft und deklamierte: »›Ich möchte nicht, daß irgend jemand unglücklich wird, weder die Kinder noch Hajo und Du, noch Peter, so enttäuscht ich von ihm auch bin.‹« Sie stocherte mit der Gabel in ihrem Getränk herum, angelte eine triefende Beere heraus, steckte sie in den Mund und schluckte hastig. Ein kleines Rinnsal lief ihr Kinn herab, sie merkte es nicht und sprach weiter. »Vielleicht bin ich unvernünftig, aber ich möchte mich heute abend einfach nicht mit diesen Dingen beschäftigen. Für mich zählt nur, daß ich weiß, wo meine Enkel sind und daß ich sie bald wiedersehen
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