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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg
Autoren: Anna Katharina Hahn
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Fleischstücken und verzischte in der heißen Asche.
    Emil sah über die Tafel hinweg. Der Anblick der Speisen beruhigte ihn, der schiere Überfluß, die Farbigkeit und die vertrauten Düfte – das milchige Hellgrün der Zwiebelringe über den Tomatenscheiben, der buttergelbe Kartoffelsalat, der pupurn schimmernde Spiegel der Roten Grütze und die dickflüssige Vanillesoße in der Glaskanne, das wilde Durcheinander von Veronikas Curry-Nudelsalat. Unstrittiger Mittelpunkt war die Platte mit den Pasteten, auf der inzwischen nur noch ein paar fettige Krümel lagen. Als Carla das Tuch gelüftet hatte, wurde gejohlt und gelacht. Peter hatte ihre Hand gestreichelt: »Wahnsinn, Muddi!«
    Verstohlen blickte Emil auf Peters Teller. Er hatte wirklich gegessen, was ihm von allen Seiten aufgetan worden war. Jetzt trank er einen Schluck aus seiner Flasche und wischte sich den Mund mit der Papierserviette ab. Ein Brotkrümel hing in seinem Bart. Emil beugte sich vor. »Entschuldige bitte, darf ich?« Mit spitzen Fingern pickte er den Brösel aus dem weichen, kräuseligen Haar. Peter lächelte. »Das passiert dauernd, ich merke es gar nicht. Eigentlich nervt der Bart.« Emil holte Luft und sah an Peter vorbei, während er atemlos sprach: »Wie wäre es, wenn wir ihn dir abnehmen? Jetzt sofort? Gleich hier?« Peters Stimme klang freundlich, vielleicht ein wenig müde. »Warum nicht? Mach einfach.« Als Emil sich ihm zuwandte, konnte er sehen, daß Peters Blick hell und klar war. Um die Augen lagen bräunliche Schatten, das Gesicht war bleich, aber der trübe, verschlafene Ausdruck war verschwunden, ebenso die Röte auf den Lidrändern. Das Blaugrün der Iris sah nicht mehr stumpf und düster aus, sondern leuchtete fast wie früher. Emil erhob sich und stieß mit dem Knie gegen den Tisch. Gläser wackelten, die Bowle schwappte, die Frauen sahen sich an, und Hajo rief: »Nur zu Emil, das ist die beste Idee, die du seit langem hattest. Ich assistiere dir.«
    Gemeinsam gingen sie ins Haus. Auf dem Telefontischchen in der Diele blinkte der Anrufbeantworter. Es war sicher Olga. Sie hatte schon morgens auf das Band gesprochen, etwas wegen einer Konferenz nächste Woche. Emil hatte sich noch nicht gemeldet. Hajo und er betraten das Badezimmer der Bubs. Emil fragte sich, ob Hajo überhaupt schon einmal hier gewesen war. Das untere Klo neben der Küche hatte er oft benutzt. Zielsicher griff er nach einem Handtuch, sein Blick streifte kurz das Drahtgitter an der Wand, an dem Veronikas Ohrringe und Ketten baumelten, die struppigen Zahnbürsten, den bespritzten Spiegel. Emil füllte einen kleinen Eimer mit warmem Wasser, nahm eine Dose Rasierschaum und eine Packung Klingen aus dem Schrank. »Einen Elektrorasierer hast du nicht?« fragte Hajo. Emil schüttelte den Kopf. »Ich nehme Nagelschere und Kamm fürs Grobe.« Hajo schlug ihm auf die Schulter, daß es brannte. »Ihr lebt wirklich in einer anderen Welt, ihr beiden.« Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. Emil sah zu Boden. »Mein Peter auch, das weiß ich schon lange.« Hajo sprach leise, er rieb sich das Kinn. »Ich habe wirklich Angst um ihn gehabt. Aber jetzt ist er über den Berg.« Er drückte Emils Arm. »Komm, wir wollen ihn anständig herrichten. Seine Kinder kriegen ja einen Schreck, wenn sie ihn so sehen.« Emil griff nach dem Eimer. »Glaubst du wirklich daran?« Hajo legte das Rasierzeug auf das Handtuch und rollte alles zu einer Wurst zusammen. »Was Mia geschrieben hat, klang stellenweise ganz vernünftig. Sie habe gehandelt wie ferngesteuert. Sie hat uns nie viel von sich erzählt.« Er schloß die Badezimmertür. »Mein Sohn hat wohl einiges verbockt. Diese Sache im Schloßgarten, wußtest du davon? Und daß er die Kinder nicht zur Schule schicken wollte? Dabei ist er doch selbst immer gern gegangen.« Er fuhr sich mit der Hand über den kahlen Schädel. »Was weiß man schon?«
    Über dem Waldrand hing himbeerfarbenes Abendrot, in das die schwarzen Kronen der Kiefern und Buchen hineinragten. Schwalben flogen in hohen Zirkeln und schrien hell und durchdringend. Peter hatte seinen Stuhl auf die obere Wiese getragen und unter den alten Mirabellenbaum gestellt, in dessen halbentrindeten Stamm Spechte ihre Höhlen geschlagen hatten. Gleich drei saßen oval und dunkel übereinander im Holz. »Das ist nicht dein Ernst, Peter! Der Stuhl steht ganz schief am Hang, die schneiden dich doch, wenn sie so arbeiten müssen. Komm wieder auf die Terrasse, das ist viel bequemer!« rief Carla
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