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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg
Autoren: Anna Katharina Hahn
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Als es dämmerte, hatten sie sich ins Wohnzimmer gesetzt und die Fenster geöffnet. Draußen flogen Fledermäuse als schwarze Umrisse vorüber. Veronika blieb wortkarg, die Hitze machte ihr zu schaffen. Kurz vor dem Schlafengehen lehnte sie sich mit ihrer letzten Zigarette an das Balkongeländer. Lavendelblüten streiften ihr nachtcremeglänzendes Gesicht, während sie sich über die umgedrehten Schraubgläser lustig machte, die Peters Mutter Carla zum Abkühlen auf die Fensterbank gestellt hatte. Der helle Schein aus der Küche der Nachbarn beleuchtete dunkelbraunes Zwetschgenmus, rubinrotes Träublesgelee. »Muddi ist wieder am Kochen.« Die Bubs hatten sich beide gefragt, wann Peter, seine Freundin Mia und ihre kleinen Söhne, Ivo und Jörn, wieder nach Burghalde, in sein Elternhaus am Schwarzen Berg, kommen würden. Ihr letzter Besuch nebenan lag schon länger zurück. Von Carla und Hajo kamen auf Emils Nachfrage die üblichen Ausflüchte, meistens über die Hecke hinweg: »Sicher ist alles bestens, wir haben auch nichts gehört. Wir können nicht immer hinter ihnen her telefonieren, da macht man sich keine Freunde. Es sind schließlich erwachsene Menschen.« Veronika war sich sicher, daß sie zu einem spontanen Urlaub aufgebrochen waren. »Peter hat sein Handy abgestellt, er haßt es doch, ständig erreichbar zu sein.«
    Emil ging zurück in die Küche, spuckte einen Speichelklumpen in den Ausguß, spülte ihn weg und öffnete den Kühlschrank, um eine Dose Kondensmilch herauszunehmen. Verschiedene Spirituosen präsentierten ihre beschlagenen Bäuche in der Tür: Wodka und öliger Aquavit. Der saure Luftschwall, das künstliche Goldlicht und die Kälte ließen Emil würgen. Er hustete, doch es kam so gut wie nichts hoch, ein bißchen Galle, das zwischen zwei Lagen Zewa passte. Danach fühlte er sich besser. Er lief ins Wohnzimmer und betrachtete das Aquarium zwischen den Bücherregalen. Das Licht war noch nicht angegangen, der Filter plätscherte und bewegte die breiten Blätter der Wasserpflanzen im Halbdunkel. Seit Jahren wuchsen hier nur noch Froschlöffel und die unverwüstliche Vallisneria. Die Fische dümpelten träge. An der Scheibe klebten mehrere Antennenwelse. Ein Schwertträger ließ seinen Schwarm im Stich, der auf halber Höhe in der Beckenmitte stand, und schwamm hinab auf den Kiesgrund, wo er mit spitzem Maul zwischen den Steinen herumpickte. Außer Welsen und Schwertträgern gab es bei Emil noch Neons und ein schwarzgestreiftes Paar Prachtschmerlen, die sich meist unter einer Kokosnußschale versteckten. Kompliziertere Gesellen wie Buckelköpfe oder Skalare hielt er seit Peters Auszug nicht mehr; wenn kein begeistertes Kind täglich mehrfach hereinschlüpfte, um durch das zarte Stoffgitter des Zuchtbeckens nach den fingernagelgroßen Jungfischen zu linsen, lohnte sich die Mühe nicht.
    In der Küche goß Emil einen neuen Schwall in den Porzellanfilter, das Wasser kochte längst nicht mehr. Er lauschte auf das hohle Tropfgeräusch in der Thermoskanne, verschraubte ihren Deckel und ging wieder nach draußen. Vom nahen Waldrand wehte eine kühle Brise herüber. Vögel zwitscherten. Das Grundstück lag am Ende der Straße, die aus dem Dorf hinausführte, vorbei an Weinbergen und Gärten, und als Schotterweg weiter in den Wald lief. Das Haus der Bubs und das Nachbargebäude, das Peters Eltern gehörte, waren noch im Krieg entstanden. Zwei befreundete Burghalder, stramme Parteigenossen, hatten sich nach den ersten Bombenschäden in der Innenstadt Balken, Ziegel und Mauersteine fast umsonst beschafft und oberhalb ihres Heimatdorfes mitten in den Streuobstwiesen ihrer Großväter gebaut. Schlicht, zweistöckig, mit niedrigen Decken, kleinen Fenstern und spitzen Dächern saßen die beiden Häuser im Hang am Waldrand. Veronika und Emil hatten ihres relativ günstig gekauft und bis auf den Innenausbau wenig daran gemacht. Es war bräunlich verputzt und sah mit seinen grünen Sprossenfenstern und Klappläden gleichzeitig bieder und hexenhaft aus. Aus dem Anwesen der Raus nebenan war mit Hilfe eines Architekten ein weißer Bungalow geworden.
    Schon vor dem Krieg war das Weingärtnerdorf Burghalde in den Vorort Stuttgart-Burghalde umgewandelt worden. Auch wenn die meisten Burghalder nach Feierabend noch ihren Garten, manche auch einen Rebenhang bewirtschafteten, verschwanden die letzten Kühe in den fünfziger Jahren, ebenso Maisfelder und Beerenpflanzungen. Aus den Bauern wurden Daimler-Facharbeiter. Neue
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