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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg
Autoren: Anna Katharina Hahn
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Griff, Henkelbecher, Kekse aus dem Biosupermarkt. Sie zogen ihre Jacken aus und breiteten sie über die Steine. Emil drehte Zigaretten, riß ein Streichholz an, dann ein zweites. Als die dritte Flamme winzig züngelte, schirmte Peter sie mit den Händen ab. Die verglühenden Tabakfädchen knisterten, als Emil den ersten Zug tat. Ihre Stirnen berührten sich fast, als er sich zu Peter vorbeugte, um ihm die brennende Zigarette zwischen die Lippen zu stecken.
    Die Jungen kokelten mit angesengten Ästen, stibitzten Kekse, setzten sich auf Peters Schoß, knallten ihre Gummistiefelhacken gegen die Mauer. Immer wieder unterbrachen sie das Gespräch. Peter wurde nie ungeduldig. Später half Emil, das Geschirr in die Küche zu tragen. Aus dem Augenwinkel nahm er die Wohnung wahr. Im Bücherregal saß ein grinsender Ganesha, davor lag ein mumifizierter Apfelbutzen. Auf der Fensterbank stand eine blühende Orchidee in weißem Übertopf. Peter stellte die Tassen in die Spüle und zeigte Emil eine silberne Dose mit mächtiger Typographie: ›Mad Max Proteinshake‹. »Mias neustes Projekt. Sie meint, damit könnte man reich werden. Sie ist mit einer Tasche von dem Zeug losgezogen. Nicht hier in der Nachbarschaft, sondern unten in der Bronx. So nennt sie die Böblinger Straße. Sie haßt Heslach, es stinkt nach Armut, sagt sie. Sie quatscht die Leute voll, stellt den Fuß in die Tür, sagt, daß sie etwas tun müssen, daß sie selbst daran schuld sind, wenn sich nichts ändert an ihrem Gewicht, ihrem Leben. Ein paar haben tatsächlich ihre schäbigen Kunstlederbrieftaschen aus der Gesäßtasche geholt. Mit Kinderbildern hinter den Sichtfenstern. Mia meinte, die Scheine wären noch warm gewesen. Ich hätte ihr bestimmt auch was abgekauft. Sie kann so penetrant sein. Jetzt will sie, daß ich auch mitmache. Aber ich glaube, das bring ich nicht.« Emil hatte die Dose in der Hand gewogen und wieder auf die Anrichte zurückgestellt, zwischen Caro-Kaffee und Wertkost-Müsli.
    Emil verabschiedete sich von den Kindern. Sie weigerten sich, ihm die Hand zu geben, und verschwanden im Zelt. Peter zog ihn in eine schattige Ecke am Zaun, zeigte auf ein niedriges Büschel blaßgrüner und roter Triebe: »Schau, da ist die Pflanze, die du damals zum Einzug gebracht hast. Kommt jedes Jahr wieder. Ich vergesse immer den Namen. Die Jungs lieben sie. Sie sagen, die Blüten sehen wie Himbeerdrops aus.« Vor dem Haus hatten sie sich zum Abschied umarmt. Emil lehnte sich an Peters Schulter, so vorbehaltlos wie an die seiner Frau. Nach diesem Besuch besaß er wieder einen Vorrat an Bildern und Sätzen, von denen er eine Weile zehren konnte.
    Doch nun ragte die nachbarliche Haustür schwarz und riesig vor Emils Augen auf und füllte sein ganzes Gesichtsfeld aus. Er fühlte sich krumm und lächerlich, am Boden neben dem Blumenkübel. Seine Erinnerung war voll von Peterbildern, doch keines glich dem, das er eben gesehen hatte. Dieser Heslacher Frühlingspeter, Mörikerezitator, Barbenbestatter, Kraftnahrungsverticker war verschwunden, wohin auch immer. Und er saß hier in Unterwäsche und entdeckte Blattläuse auf den Rosenknospen.
    Endlich öffnete sich die Tür. Emil rutschte näher an das Balkongitter. Die Bastmatten rochen schimmelig. Peter kam heraus. Das hüpfende Kind, der träumerische Jugendliche, beide waren sie mager gewesen, doch nicht vergleichbar mit diesem ausgezehrten Männerkörper. Die Jeans schlotterten um die Beine, rutschten trotz Gürtel über die Hüften, so daß der Bund seines Slips hervorsah. Die Hosen waren gelb an den Oberschenkeln, das T-Shirt voller Flecken und Schweißränder. Peter hielt den Kopf gesenkt und starrte auf seine Füße.
    Hinter ihm trat seine Mutter Carla aus dem Haus. Sie war bereits angezogen, trug Rock und Bluse statt des üblichen Morgenmantels. Von seinem Arbeitszimmer aus hatte Emil über Jahre hinweg Morgen für Morgen Peters Vater gesehen, wie er im gelben Lampenlicht die Kaffeemaschine angestellt hatte. Es war Hajo, der seinen verschlafenen Sohn vor die Tasse Ovomaltine setzte, Muster in Butterbrote ritzte, einen Apfel wusch und in Peters Scout-Ranzen steckte. Vater und Sohn saßen sich stumm gegenüber. Emil wußte, daß sie beim Frühstück die SDR -Nachrichten hörten. Peter hatte ihn einmal gefragt, warum die Amerikaner einen Präsidenten namens Kater hätten. Carla erschien erst zum Winken im Wohnzimmerfenster, wenn die beiden schon in der Einfahrt standen und sich noch einmal zum Haus umdrehten.
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