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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg
Autoren: Anna Katharina Hahn
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fallenzulassen, die Wachsamkeit zu unterbrechen. Er sah hinüber zu Veronika, die ihm rauchend ihr Profil zuwandte. Als der leise zirpende Anfang eines neuen Songs erklang, stand Emil auf und verneigte sich vor seiner Frau: Sie erhob sich und lehnte sich in seinen pathetisch vorgestreckten Arm, die Mundwinkel spöttisch hochgezogen. Er zog sie an sich, ergriff ihre Hand und sang mit: » I’m looking for a hard headed woman, one who will take me for myself, and if I find my hard headed woman, I will need nobody else .« Es war mehr ein Herumschieben als ein Tanz, eine schiefe Drehung zum unvermittelten Einsatz der Streicher, der plötzlichen Wildheit in der Stimme des Sängers. Veronika folgte Emils ungelenken Bewegungen mit graziösen Schritten. Er staunte über die Höhe ihrer Absätze, das leuchtende Rot der Zehennägel. Von ihren Schuhen sah er hoch in ihr Gesicht, bemerkte, daß sie bis auf den Lippenstift heute abend ungeschminkt war. Ihre Pupillen waren weit und schwarz im schummrigen Licht ringsum, das dennoch stark genug war, um Emil die absackende Kontur ihrer Wangen, das unerbittlich hervorkriechende Silber des Haaransatzes zu zeigen. Er beugte sich vor und küßte sie vorsichtig auf die Lippen. Während sie sich weiter bewegten, sicherer geworden in den letzten Takten des Liedes, schlang sie ihre Arme um seinen Hals und erwiderte den Kuß.
    Am Tisch stellte Carla das Geschirr zusammen. »Schau dir die Turteltäubchen an!« Sie griff sich eine Schüssel, kratzte Kartoffelscheiben zusammen, hielt Hajo den Löffel hin: »Komm, jetzt iß auch auf, was du gekocht hast, oller Schwabe!« Er verzog das Gesicht. »Carla, ich glaube, du hast zuviel getrunken!« Sie lachte. »Das läßt sich in dieser Nachbarschaft kaum vermeiden.« Die geschäftigen Geräusche, mit denen sie jetzt Teller und Platten aufeinanderstapelte, übertönten die Musik. Emil ging zum Haus, um die Anlage lauter zu stellen. Als er den anderen den Rücken zudrehte, hob er seine Finger an die Nase und roch den kühlen Minzduft seines eigenen Rasierschaums und darüber Veronikas Jasmin. Veronika stand noch immer in der Mitte der Terrasse und wiegte sich zum Takt der Musik, bis mit einemmal Gesang von der Straße hochbrandete: zwei Männerstimmen, eine tief und voll, die andere dünn, hoch und unsicher. In ihrer Gegensätzlichkeit vereinigten sie sich zu einem durchdringenden, schrägen Duett, von dem jedes Wort deutlich durch die Bäume klang. Veronika trat unter die Laternenschnur und beugte sich lauschend vor. Ein Windhauch hob den schwarzen Kreppstoff ihres Kleides bis über die Knie. Ihr Haar fiel in weichen Strähnen um das Gesicht, das vom Licht eines roten Lampions angestrahlt wurde.
    »Zwei schwarze Rößlein weiden
    Auf der Wiese,
    Sie kehren heim zur Stadt
    In muntern Sprüngen.
    Sie werden schrittweis gehn
    Mit deiner Leiche;
    Vielleicht, vielleicht noch eh
    An ihren Hufen
    Das Eisen los wird,
    Das ich blitzen sehe!«
    Carla trat mit der leeren Pastetenplatte an den Rand der Terrasse und spähte auf den dunklen Weg. »Jetzt schau dir diese beiden Hallodris an, mit ihren Rucksäcken und Taschenlampen! Wo die herkommen, völlig abgerissen! Jetzt gehen sie an eure Mülltonnen! Ach, die suchen Pfandflaschen, schaut nur! Wie Pat und Patachon sehen sie aus. Guck mal, Veronika, der Große hat einen Bart wie ein Waldschrat. Und der Knüppel! Und der Kleine, der trägt ja sogar einen Anzug, ganz zart ist er und weißhaarig. Ein seltsames Paar.« Veronika winkte, bis die beiden Wanderer in Richtung Burghalde verschwunden waren. »Das sind alte Bekannte, Benutzer aus der Bücherei, etwas verschroben.« Sie lächelte Emil zu und begann, die zerknüllten Servietten einzusammeln. Hajo stellte seine Bierflasche ab. »Wo ist eigentlich Peter? Er ist schon ziemlich lange weg.« »Ich dachte, er wäre ins Bad gegangen, er wollte sich doch das Gesicht waschen.« Emil drückte seine Zigarette aus. »Ich glaube, es ist besser, wir gehen mal rein.« Die anderen folgten ihm, jeder trug einen Stapel Geschirr.
    Im Haus der Raus brannte im gesamten unteren Stockwerk das Licht. Peters Chucks standen nebeneinander unter dem Schlüsselbrett, zwischen Carlas Pumps und Hajos Budapestern. Es war stickig und roch nach gekochten Beeren und Ragoût fin. »Peter!« rief Carla an der Treppe. »Vielleicht hat er sich hingelegt. Ich mach mal klar Schiff in der Küche. Kannst du mir bitte die Tür aufmachen, Veronika?«
    Emil und Hajo liefen hintereinander die Stufen hoch.
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