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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg
Autoren: Anna Katharina Hahn
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besorgt. Peter blieb sitzen. »Sie schneiden mich nicht. Der Blick ist so schön.«
    Hajo stellte sich hinter seinen Sohn und legte ihm das Handtuch wie einen großen Kragen um den Hals. Das Rasierzeug bettete er unter den Stuhl ins Gras. Vorsichtig zupfte er ein paar Strähnen heraus, die sich zwischen dem Hemdausschnitt und dem Frotteestoff verfangen hatten. Emil hängte seinen Wassereimer an einen Astknorpel, der aus dem unteren Teil des Baumstamms hervorragte wie ein rustikaler Kleiderhaken. Hajo strich Peter das Haar aus der Stirn, während Emil begann, mit Kamm und Nagelschere vorsichtig den Bart zu stutzen. Die Härchen rieselten auf den rauhen Stoff, die Schere klickte leise. Hajo ließ sich im Gras nieder. Emil sah auf die Terrasse hinunter. Die beiden Frauen hatten den Tisch verlassen, auf dem Gläser und Flaschen im bunten Schein der Laternen und der Lichterkette aufglänzten. Sie saßen nebeneinander in der Hollywoodschaukel und schauten zum Hang hinauf. Beide rauchten. Die bläulichen Tabakwolken mischten sich mit dem Abendlicht, die Schaukel schwang leise knarrend vor und zurück, die Fransen des Bezugs bewegten sich im Wind. Emil hörte Veronika tief inhalieren, Carla paffte kokett und hustete kurz. Sie tauschten einen Blick, lächelten. Emil fand sie sehr schön in ihren kurzen Kleidern, das helle Fleisch der Arme, den schimmernden Ansatz der Brüste. Irgendwo im Gebüsch begann ein Vogel zu singen. Laut und perlend stiegen die Töne in die Dämmerung. Veronika flüsterte: »Eine Nachtigall!« Emil zwirbelte ein Löckchen zwischen Daumen und Zeigefinger zusammen und mußte plötzlich daran denken, daß Veronika ihn früher manchmal gebeten hatte, ihr die Haarspitzen zu schneiden. »Alles gespalten, ich krieg keinen Kamm mehr durch, und der Friseur nimmt viel zu viel runter.« Sie hatte ihm gezeigt, wie er die langen, feuchten Strähnen zusammendrehen mußte, bis die zerstörten Spitzen aus dieser glänzenden Kordel hervorsprangen wie feiner rötlicher Draht, der dann vorsichtig abgeschnitten werden mußte. Sie benutzte damals ein Apfelshampoo, »wie Yoko Ono«, und hinterher war der Küchenfußboden bedeckt mit einem feinen, flaumigen Teppich, den Emil mit dem Handfeger zusammenkehrte.
    Emil tunkte die Hände ins Wasser, schüttelte die dunkelblaue Dose und hielt sie schräg. Zischend entlud sich der Rasierschaum in seine Handfläche und quoll in weißen Flocken zwischen den Fingern hervor wie Schlagsahne. Vorsichtig strich er die Masse über Peters Kinn und Hals, kleisterte sorgfältig Oberlippe und Wangen zu, bis das halbe Gesicht unter einer dicken, schneeigen Maske verschwunden war. Er zögerte, bevor er die Klinge ansetzte, und sah zu Hajo hinüber, der sich auf der Wiese ausgestreckt hatte. »Möchtest du?« fragte er halblaut, aber der schüttelte den Kopf. »Mach nur, ich hab da keine Erfahrung mehr, bin schon so lange mit dem Elektrischen zugange.« Peters Augen begegneten ruhig Emils Blick über den flockigen weißen Kranz hinweg. Er saß vollkommen still und hielt die Hände im Schoß gefaltet. Emil begann am rechten Ohr. Er schabte vorsichtig und trat immer wieder an den Baum, um den Scherkopf im Eimer auszuspülen. Der Schaum durchsetzte sich mit den abrasierten Härchen, die in der Creme saßen wie Dill in einer hellen Sauce. Am Kinngrübchen und an den Kieferknochen hielt Emil inne, ging ein wenig in die Knie. Er hatte Angst, Peter zu verletzen, aber die Klinge glitt sicher über jede Unebenheit. Er stützte sich mit dem linken Arm an der Stuhllehne ab, als er langsam und stetig die Stoppeln an der zurückgebogenen Kehle entfernte. Es wurde dunkler. Carla und Veronika waren zwischendurch ins Haus gegangen und mit einer Reihe von Windlichtern zurückgekommen, die sie auf dem Tisch verteilt hatten. Hajo steckte Fackeln in die Rasenkante. »Hab ich im Carport gefunden. Was man nicht alles aufhebt.« Emil sah Peters Brauen dunkel und dicht über den Augen stehen, die er inzwischen geschlossen hatte. »Peter, ist das so angenehm?« fragte er in das schweigende Gesicht hinein und verstrich mit sanften, kreisenden Bewegungen eine neue Portion Schaum. Peter machte »Mmhm«, Emil fuhr mit den Fingerspitzen die knöcherne Linie der Wangen nach, den Schwung der Oberlippe mit ihrem spitzen Amorbogen, bemühte sich, den Mund nicht mit dem Schaum zu bedecken, tupfte sachte, wischte hier ein wenig Seife weg, spülte immer wieder den Rasierer aus. Das Wasser im Eimer war schwarz. Der Schaum trieb in
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