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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg
Autoren: Anna Katharina Hahn
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Fingernägeln nach, zupfte die Mütze zurecht und stellte sie vor sich auf den Teller. Dabei summte sie leise: » You are my sunshine, my only sunshine, you make me happy when days are blue … « Schnell hatte sie vier weitere Serviettenmützchen hergestellt und verteilt. Carla trat einen Schritt zurück und besah ihr Werk. »Siehst du, min Jung, du mußt nur Muddi fragen. Eigentlich sollten wir noch ein paar Blumen haben. Das sieht hübsch aus, wenn man die vorne reinsteckt.«
    Durch die offene Haustür hörte Emil Veronika in der Küche klappern. Geschirr klirrte, dann knallte dumpf ein Sektkorken, sie schimpfte halblaut. Er verstand auch hier draußen den Lieblingsfluch ihres Vaters: »Herrschaftsechser!« Ein Löffel schlug hell gegen Glas, darüber legte sich der feierliche Dreiklang der SWR -Nachrichten: »Es ist 18 Uhr, die Nachrichten.«
    Emil sah Carla zu, wie sie zur oberen Wiese hochstieg. Sie ging in die Hocke. Rückenschule, dachte er, braves Kind. Ihr Kleid rutschte hoch, sie rupfte in den Rasenkanten herum, wo das Gras noch länger war. »Dein Blumenmeer ist dahin. Du hast ja in letzter Zeit wie wild gemäht. Gar nicht deine Art. Aber ein paar hast du übersehen, bist eben doch nicht so gründlich.« Sie legte ihre Beute auf den Tisch. »Die letzten Mohikaner.« »Das sind doch keine Blumen, Carla, das ist Unkraut.« Sie nahm eine orangefarbene Blüte zwischen Daumen und Zeigefinger und wischte Emil damit über die Nase. Es duftete stark und medizinisch. »Man sieht wieder mal, daß du keine Ahnung hast. Und so was ist Lehrer. Das sind Ringelblumen. Und hier, Wiesensalbei, schon halb verblüht, aber noch immer schön, dieses tiefe Dunkelblau. Da ist Hopfenklee, niedlich, mit seinen gelben Bommeln, oder?« Sie ordnete winzige Sträußchen und steckte eines in jede Serviettenmütze. Dabei redete sie weiter. »Ich dachte erst, ich mache meine üblichen italienischen Antipasti, aber dann war mir so sentimental zumute, und ich hatte eine andere Idee. Schau mal.« Carla schlug einen Tuchzipfel von der Platte zurück und zeigte Emil zehn kleine gelbbraune Blätterteigpasteten, die nebeneinander auf Tortenspitze hockten und fettige Ringe auf dem Papier hinterließen. »Es war gar kein Problem, welche zu bekommen. Ein paar ältere Kunden wollten immer welche zum Wochenende, haben sie in der Bäckerei gesagt. Ragoût fin gibt es auch.« Carla deutete mit dem Kinn in Richtung ihres Hauses. »Es steht noch auf dem Herd. Aus der Dose, wie es sich gehört.« Emil lachte. »Die Pastete Souzeraine! Da wird sich Peter freuen. Wenn er sich überhaupt noch erinnert. Ich glaube, ich habe das seit zwanzig Jahren nicht mehr gegessen.« Er ging zu der Zinkwanne neben der Treppe, nahm eine Flasche Bier aus dem Wasser und reichte sie Carla, die sich auf einem Gartenstuhl niedergelassen hatte.
    Auf ihrem Hals zeigten sich rötliche Flecken. Sie drückte die kalte, tropfende Flasche gegen ihre Kehle, ließ sie hinunter zum Dekolleté wandern und auf der bloßen Haut hin und her rollen. Laut stöhnend schloß sie die Augen. Der Flaschenbügel schnalzte hoch, sie nahm einen Schluck. Emil setzte sich neben sie. »Ich habe überhaupt nicht geschlafen, nach dem Theater gestern abend. Die ganze Nacht bin ich herumgehühnert, hab meine Schränke aufgeräumt.« Sie legte die Hand auf seinen Arm und sah ihn an. Beim Tuschen hatte sie die unteren Wimpernreihen vergessen. Die fast durchsichtigen Härchen gaben ihrem Gesicht etwas Hilfloses und Erstauntes, das durch den im Mundwinkel verwischten Lippenstift und die zerrupfte Frisur noch verstärkt wurde. Emil fand trotzdem, daß sie seit langem nicht mehr so gut ausgesehen hatte. Bevor er etwas sagen konnte, sprang Carla auf, löste den Knoten ihrer Schürze, rollte sie zusammen und warf sie auf den Stuhl neben sich. Sofort riß sie das Bündel wieder auseinander und wühlte in den großen Vordertaschen. Ihre Hände kamen leer unter dem roten Stoff hervor. Sie schüttelte die Schürze aus. Der Stoff machte ein schnalzendes Geräusch. »Ich wollte dir Mias Mail endlich mal zeigen, nachdem wir den halben Nachmittag darüber gesprochen haben, und nun ist sie weg. Wahrscheinlich liegt der Ausdruck noch drüben in der Küche. Ich bin furchtbar fribbelig! Hajo hat mir ein Glas Hennessy gegeben, viel zu früh für so was. Als das nichts nutzte, hat er mich rausgeschickt. Er macht seinen Kartoffelsalat.« Sie nahm noch einen Schluck Bier. Ein halblauter Rülpser entfuhr ihr, sie errötete,
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