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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg
Autoren: Anna Katharina Hahn
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kicherte und verbarg ihr Gesicht in der Armbeuge. »Achte einfach nicht auf mich, es wird immer schlimmer«, murmelte sie.
    »Wo ist Peter eigentlich?« fragte Emil. »Du wirst es nicht glauben«, sagte Carla, »er räumt tatsächlich sein Zimmer auf. Heute mittag ist er ins Bad gegangen und hat geduscht. Ganz ohne Aufforderung. Als ich das Wasser plätschern hörte, dachte ich, es gibt noch Wunder.« An Carlas Schläfe zog sich eine weiße Cremeschliere entlang, und Emil mußte an sich halten, sie nicht mit dem Zeigefinger zu verwischen. Er wollte sie nicht verärgern. Der gestrige Tag war schlimm genug gewesen.
    Nachdem Peter aus dem Döner-Lokal verschwunden war, hatte Emil seine Frau angerufen, die gerade dabei war, die Bücherei zu verlassen. Es war genau sieben Uhr, und die Innenstadt gellte von Trillerpfeifen, geschlagenen Kochtöpfen, Kuhglocken und Autohupen der empörten Stuttgart-21-Gegner, die sich an Straßenecken und Plätzen zum allabendlichen ›Schwabenstreich‹ versammelt hatten. Veronika und Emil suchten über eine Stunde lang am Olgaeck nach Peter. Sie waren durch Unterführungen gerannt, hatten Kneipen und Kioske, den Discounter in der Blumenstraße und die Bänke am Fischreiherbrunnen abgeklappert. Veronika war wütend und besorgt gewesen und hatte Emil während der Suche in einem fort beschimpft. Auf der gemeinsamen Rückfahrt nach Burghalde war sie still geworden. Als sie das Radio aufdrehte, um die Nachrichten zu hören, sah Emil, daß sie weinte.
    Peters Mutter schoß aus der Haustür, als Veronika den Audi unter den Zwetschgenbäumen einparkte. Vom Turm der Mauruskirche schlug es neun. Während Veronika ausstieg und dem hilflos im Sitz hängenden Emil öffnete, war Carla schon an ihr vorbeigehastet und hatte Emil angeschrien, der unbeholfen ein Bein aus dem Auto schob und sich mit beiden Händen am Türrahmen festhalten mußte, um sich hochzustemmen. Einen verantwortungslosen Säufer und Spinner hatte sie ihn genannt, der alle Schuld habe, wenn ihr Liebstes jetzt endgültig vor die Hunde ginge. »Keine Nachricht, den ganzen Nachmittag lang. Eine hilflose Person ist er! Du weißt gar nicht, wie schlimm es um ihn steht! Was ist dir bloß eingefallen, ihn einfach mitzuschleppen! Hast du eine Ahnung, wie spät es ist? Gleich ist die Sonne weg, und mein Schnuck irrt irgendwo herum …« Ihr Speichel traf Emil an der Stirn.
    Veronika war langsam auf Carla zugegangen, die Emil am Hemd gepackt und geschüttelt hatte. Auch in seinem Dämmer aus Alkohol und Angst hatte er die Stärke registriert, die von ihr ausging, von den unverwischten Farben ihres sorgfältig zurechtgemachten Gesichts, dem schwingenden Sommerkleid mit dem dunkelroten Rosenmuster. Vorsichtig stellte sie ihre Aktentasche auf die Erde, löste dann Carlas Hände von Emils Knopfleiste. Zum ersten Mal in all den Wochen verlor sie die Contenance und forderte sie mit gefährlich ruhiger Stimme zum Schweigen auf: »Deine Mutterschaft gibt dir keine Lizenz zum Ausflippen, reiß dich gefälligst zusammen. Wir machen uns auch Sorgen.« Das Geräusch eines heranfahrenden Autos zwang die Streitenden, in Richtung Garten zurückzuweichen, Emil erkannte Hajos Daimler. Die Scheinwerfer leuchteten über den Kies. Emil schloß ergeben die Augen. Veronika umfaßte seine Hüfte und klopfte ihm leicht auf den Rücken wie einem Kind. Plötzlich fuhr sie zurück und gab einen überraschten Laut von sich.
    Aus dem Wald kam Peter. Er schritt langsam auf sie zu. Die Scheinwerfer seines Vaters streiften die helle Stirn, tauchten sein T-Shirt in bläuliches Weiß. In der rechten Hand hielt er einen knotigen Holzstock, den er beim Gehen auf den Boden stieß. Sein Gesicht war ruhig, er hielt sich gerade. Carlas Schrei gellte laut, sie verlor ihre Schuhe, als sie auf ihren Sohn zurannte, ihn umhalste und sein Gesicht mit Küssen bedeckte. »Das reinste biblische Tableau«, knurrte Veronika. Sie mußte Emil stützen, der versuchte, zu den beiden hinüberzulaufen. »Misch dich nicht ein, du kannst das später nachholen. Sie hat schon recht, das war keine gute Idee.« Peter ließ sich von seiner Mutter ins Haus führen. Sie umklammerte mit beiden Händen seine Rechte, die immer noch den Stock hielt. Hajo stieg mit seinem Köfferchen aus dem Wagen und folgte dem Paar, ohne sich nach den Bubs umzudrehen. Veronika scheuchte Emil die Treppen hoch, indem sie ihm immer wieder ihre Aktentasche in den Rücken stieß. Er war auf einmal so müde, daß er nicht
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