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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg
Autoren: Anna Katharina Hahn
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Lehramtsstudium, Deutsch und Geschichte, in den ersten Monaten des Referendariats abgebrochen. Schließlich war sie, auf Halbtagsbasis und schlecht bezahlt, als Linguistik-Dozentin bei der Sanitas-Akademie, einer Weiterbildungseinrichtung für Gesundheitsberufe, untergekommen. Dort hatte Peter sie kennengelernt. Über einem kryptischen Anmeldeformular für einen Lehrgang zu Schluckstörungen bei Kindern, wie er erzählt hatte. Sie mußte oft abends arbeiten, die Schule im Stuttgarter Westen bot berufsbegleitenden Unterricht an.
    Das dreistöckige Wohnhaus oberhalb der Etzelstaffel war ein Nachkriegsbau mit vermoostem Dach und bröckelndem blauem Verputz. Im Schutz der vorspringenden Balkone lagerten im Vorgarten Benzinkanister, Werkzeugkisten und Reifenstapel. Magere Rosen und die fetten rötlichen Blätter der Erdwurz wuchsen an der Hauswand. Ölflecken verliefen auf dem Plattenweg. Die Garage, ein graugrüner Zweckbau mit Wellplattendach, lag auf der linken Seite des Hauses; das Holztor stand tagsüber fast immer offen. Dies war das Revier der Steidles, die über Peter wohnten. Zusammen mit seinem erwachsenen Sohn besaß der pensionierte Hugo Steidle drei alte Autos, an denen die beiden ständig herumbastelten. Wenn schönes Wetter war, belagerten sie Garage und Gehweg: zwei rotbackige, übergewichtige Männer mit dichten Schnauzbärten, die sich in ihren Bundfaltenjeans und verschwitzten Pullovern bewegten wie betrunken. Der Sohn lebte nicht mehr bei den Eltern, erschien aber häufig, um mit seinem Vater zusammen zu arbeiten. Peter berichtete, daß sie oft stundenlang unter den Karosserien lagen, ohne ein Wort zu wechseln.
    Manchmal hielt sich Emil in Peters Garten auf, wenn niemand zu Hause war. Vor Veronika schämte er sich dafür, daß er alle paar Wochen heimlich in den Etzelweg fuhr. Er schämte sich auch vor den blinzelnden Augen Hugo Steidles, der in seiner Garage werkelte und ihm kurz zunickte. Vor der Wohnungstür stellte Emil eine Tüte Süßigkeiten und eine Flasche Wein ab. Erst danach gestattete er sich einen Rundgang durch den Garten, räumte herumliegendes Spielzeug und Geräte weg, schnitt ein Stück Hecke, zupfte Unkraut und setzte sich kurz auf die kleine Terrasse, die aus dem Wohnzimmer auf den abschüssigen Wiesenzipfel hinter dem Haus führte. Dort betrachtete er die Holunderbüsche am Ende des Abhangs und fühlte sich beruhigt. Von dem Kind Peter hatte er vieles gewußt. Der Erwachsene war nicht mehr so offen. Emil vermißte die selbstverständliche Nähe und suchte sich andere Wege. Er brauchte das Gefühl, mit ein paar Tauen an diesem weit draußen herumschlingernden Schiff verankert zu sein.
    Emils linker Fuß war eingeschlafen, er streckte die Beine auf dem schartigen Betonboden aus, der übersät war mit abgebrochenen Baststücken aus der Balkonverkleidung, tanzenden Federchen und gelbgrünem Blütenstaub. Über der Klingel des Nachbarhauses hing noch immer ein getöpfertes Schild, das Carla vor Jahrzehnten in einem Volkshochschulkurs angefertigt hatte. ›Hier wohnen die Raus: Dr. Hans-Jochen. Carla. Peter. Petra.‹ Petra war Peters längst verschwundene Schildkröte. Emil fragte sich, wann Carla das Ding endlich abhängte.
    An jenem Märznachmittag war Peter zu Hause gewesen. Die logopädische Praxis, in der er arbeitete, hatte mittwochs geschlossen. Emil war den Kinderstimmen nachgegangen und den struppigen Hang hinuntergestiegen. Hinter einem Mäuerchen lag ein ebener Rasenplatz. Hier hatte Peter aus Bohnenstangen ein Zelt gebaut und eine verschossene braune Decke über das Gerippe gehängt. Ivo und Jörn hockten darin und sahen Emil mit großen Augen entgegen. Sie benagten Stöckchen und flüsterten miteinander. Grasflecken leuchteten auf ihren Hosen. Am Rande der Terrasse wuchsen Ebereschen. Die alten Bäume warfen lange Schatten. Die Rosenbüsche in der umlaufenden Rabatte waren stark verwachsen, die dünnen, geilen Triebe des letzten Sommers geschwärzt vom Frost. Dazwischen standen, schon eine Handbreit über der Erde, die silbergrün behaarten Blätter von Gartenmohn.
    Peter kam lächelnd auf Emil zu. Er zog die Schultern hoch. »Entschuldige, ich will immer anrufen und bin dann abends zu müde, oder die Jungs kommen dazwischen. Ich hätte mich längst melden müssen.« Er legte Emil die Hand auf den Arm. Sein Haar roch nach Sonne und Rauch. »Gestern hab ich an dich gedacht, als ich in der U-Bahn saß. Über mir hing ein Ausschnitt aus diesem Mörike-Gedicht. ›Am schwarzen
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