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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg
Autoren: Anna Katharina Hahn
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von sich behaupten konnten.
    Das Auto fand den Weg nach Heslach fast von alleine. Emil hatte irgendeinen Rock-Sender eingestellt und folgte im Strom der Beats der Konrad-Adenauer-Straße. Er wippte im Takt, passierte die Alte Staatsgalerie und das grünliche Reiterstandbild davor, sah die leuchtenden Röhren am Neubau entlanglaufen, dann die Sprudelgarben der Wasserspiele vor dem Haus der Geschichte, den massigen Turm der Musikhochschule. Er blickte kurz nach links auf das muschelgraue Palais der Stadtbücherei, kreuzte die Planie und erinnerte sich daran, wie er für einen Augenblick überlegt hatte, Veronika in den Etzelweg mitzunehmen. Doch der Wunsch, mit Peter allein zu sein, war stärker gewesen, und so fuhr er weiter. Veronika war gut aufgehoben in diesem Königssitz voller Bücher, hinter Sandsteinsäulen und sanft geschwungenen Treppenaufgängen. Im Gegensatz zu ihm verschwand sie tagsüber nie in der Toilette, um einen schnellen Erlösungsschluck zu nehmen. Sie achtete darauf, eine gefürchtete Erscheinung zu bleiben, besonders unter den jüngeren Bibliothekarinnen: streng stöckelnd, unerbittlich genau und bedacht auf Etikette gegenüber allen Benutzern, seien sie auch noch so alt und abgerissen. Ihren geflüsterten Beinamen, Bub-Beyer, die Hex, trug sie mit Stolz. Wegen ihrer Aufmüpfigkeit wurde sie nicht von allen Vorgesetzten geschätzt. Lachend und kopfschüttelnd erzählte sie von ermahnenden Gesprächen. Ihr stacheliges, schwarzblau gefärbtes Haar schien dann zu knistern, und die schwer beringten Hände fuhren abwehrend durch die Luft.
    Die Ampel am Charlottenplatz zeigte Rot. Emil erblickte die Leonhardskirche zwischen den glänzenden Fassaden der Halbhochhäuser und davor, im Licht fast knöchern weiß, die Kreuzigungsgruppe, umringt von Obdachlosen. Auf den Verkehrsinseln wogten Narzissen in der Auspuffluft. Die Hauptstätter Straße stieß in die sonnengeblendete Leere des Marienplatzes hinein, darüber stieg die Zahnradbahn schräg in den noch blattlosen Wald. Emil ließ den Audi langsam dahinzockeln und genoß, daß sich die Böblinger Straße vor ihm auftat wie eine Vergnügungsmeile. Hier begann Peters Revier: Rot, gelb und orange leuchteten die Schilder der Bäckereiketten und Discounter, ein grinsender Hahn blinkte an der Fassade des Schnellrestaurants. Vor dem türkischen Markt lagerte in bunten Schrägen Obst und Gemüse. Hinter den schmutzblinden Schaufenstern eines Secondhand-Ladens häuften sich Berge von Schuhen. Vor der Post stieg die Stadtbahn aus dem Tunnel und fuhr in der Straßenmitte weiter. Emil erkannte das kleine Blumengeschäft wieder, in dem er Peter zum Einzug ein Tränendes Herz für seinen Garten gekauft hatte. Er zwang sich, an dem Laden vorbeizufahren, auch wenn er seinen Kofferraum gerne mit Tulpen, Scylla und Osterglocken gefüllt hätte. Der alte Drang, Peter zu verwöhnen, war stark. Bei dem Kind war das einfach gewesen. Damals hatte er Peter mit Haribo-Tüten, Kinderüberraschungseiern und mit seiner Zeit überschüttet, langen Nachmittagen im Burghalder Garten oder in seinem Wohnzimmer vor dem Aquarium.
    Nach dem Bihlplatz wurden die Häuser niedriger. Es gab Fachwerk, Satteldächer wie dunkle Hauben. Das Dorf schälte sich heraus. Was sich nicht am Rand der Hauptstraße drängte, wich in die schmalen Straßen aus, die sich zwischen Wald und Gärten die Hänge emporwanden. Rote und schwarze Bierkästen türmten sich im Hof der Brauerei. Eine Gruppe junger Türkinnen mit Kopftüchern und langen, fließenden Mänteln bummelte den Gehweg entlang. In ihren Armbeugen hingen Plastiktüten. In einer Wäscherei lagen Papierpakete im Fenster, ›Bluse, schrankfertig, 2,50 Euro‹. Emil passierte den Friedhof neben der Kreuzkirche, dessen immergrüne Nadelbaumkühle ein Holzzaun einfriedete.
    An der Böblinger Straße parkte Emil den Audi hinter einem alten Toyota. An dessen Innenspiegel hing ein Gebetskettchen aus blauen Glasperlen. Starker Malzgeruch stieg Emil in die Nase. Die Etzelstaffel nahm er im Laufschritt, am Anfang zwei Stufen auf einmal. Bald ging ihm der Atem aus. Er lehnte sich gegen das Geländer und sah nach unten. Am Fuß der Treppe stapelten sich Mehrfamilienhäuser aus der Vorkriegszeit mit gelben und cremebraunen Fassaden wie Schuhkartons übereinander. Ihre winzigen quadratischen Fenster waren allesamt mit hölzernen Klappläden versehen. In den Gärten standen Wäschespinnen und Gänse aus Ton. Je höher man stieg, desto häufiger wurden
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