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Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts
Autoren: Harry Kemelman
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Herz aus Gold … Früher, da hat er mir Sorgen gemacht,
weil er schlecht war in der Schule – Sie wissen doch, jeder Vater will, dass
sein Sohn studiert und eine gute Bildung hat. Aber mein Benjamin … Na ja, es
war eine schwere Zeit, und ich hab ihn gebraucht im Geschäft. Aber wenn er
einen Kopf zum Studieren gehabt hätte, dann … Also, es war gegangen. Aber er
wollte nicht lernen. Und der Hirsh von nebenan, der hatte einen Sohn, das war ein
regelrechtes Genie, und dauernd hat er Stipendien gekriegt. Aber später hab ich
mir oft gedacht, vielleicht war’s gut so, denn der Isaac Hirsh hat nie mehr den
Fuß in eine Synagoge gesetzt, seit er erwachsen war. Und dann hat er getrunken
und auch noch eine Christin geheiratet, ja … Und jetzt heißt es, er hat sich
umgebracht.»
    Der Rabbi schüttelte den Kopf. «Nein, Mr. Gor…»
    «Ich weiß, es stimmt nicht. Ich sag ja nur, was mir so durch
den Kopf gegangen ist … Aus meinem Sohn, der nicht einmal alle Klassen gemacht
hat, ist trotzdem ein feiner, koscherer Junge geworden, und das Geschäft
versteht er wie kein Zweiter – sogar im Time Magazine haben sie von ihm geschrieben,
was er für ein großartiger Geschäftsmann ist … Glauben Sie mir, Rabbi, es ist
ein Irrtum von der Polizei. Was soll mein Benjamin nach all den Jahren von
diesem Isaac Hirsh wollen?»
    «Sie müssen die Situation verstehen», wandte der Rabbi ein.
«Hirsh wohnte erst seit kurzem hier und hatte kaum Bekannte. Dann fand man
heraus, dass er mit Ihrem Sohn aufgewachsen ist und dass sie später
Geschäftspartner waren. Und als er sich dagegen wehrte, dass Hirsh im Friedhof
begraben worden ist …»
    Der Alte faltete die knochigen Hände, dass die Knöchel weiß
wurden. «Gott verzeih mir’s … Daran bin ich schuld, Rabbi. Ich hab ihm das
eingeredet.»
    «Ich weiß. Aber da war auch noch die Sache mit diesem Empfehlungsschreiben
für die Stelle bei Goddard …»
    «Na sehn Sie? Das zeigt, was er für ein gutes Herz hat. Er war
nie mit ihm befreundet, mit dem Isaac Hirsh, auch nicht, als sie Kinder waren
…»
    «Ich verstehe Sie ja. Aber gerade deshalb muss die Polizei nachprüfen,
ob Ihr Sohn nicht doch in letzter Zeit mit Hirsh in Verbindung gestanden hat … Sie
sollten unbedingt mit Ihrem Anwalt sprechen, Mr. Goralsky!»
    «Nein.» Der Alte schüttelte den Kopf. «Mit einem Anwalt wird
es so offiziell: Er geht zum Richter, er stellt Anträge, er schreibt in die
Akten, was weiß ich – und schon steht’s in der Zeitung. Und mein Benjamin ist
nicht irgendwer; er ist ein wichtiger Mann, und wenn die Zeitung erfährt, dass
ihn die Polizei mitgenommen hat – Rabbi, es wird ein Riesenskandal!»
    «Aber was wollen Sie tun?»
    «Deswegen bin ich zu Ihnen gekommen, Rabbi. Sie sind doch
mit dem Polizeichef befreundet.»
    «In letzter Zeit nicht mehr», sagte der Rabbi bedauernd. «Aber
auch sonst hätte ich kaum etwas unternehmen können.»
    «Sie müssen mit ihm sprechen. Sie müssen herausfinden, was
er will von meinem Sohn. Sie müssen ihm alles erklären … Bitte, Rabbi!
Versuchen Sie’s doch …»
    «Also gut.» Rabbi Small brachte es nicht übers Herz, die Bitte
abzuschlagen. «Ich werde mit Lanigan sprechen. Aber machen Sie sich keine
Illusionen. Hören Sie auf mich und nehmen Sie einen Anwalt.»
    «Den Anwalt kann ich immer noch nehmen. Aber zuerst reden
Sie mit dem Polizeichef … Es muss nicht gleich sein, Rabbi – ich will nicht,
dass Sie, Gott behüte, am Sabbat arbeiten … Aber vielleicht heute Abend?»
    «Der gute Ruf eines Mannes steht auf dem Spiel. Wenn Sie am
Sabbat fahren, kann ich auch am Sabbat arbeiten.» Er lächelte. «Abgesehen
davon, für einen Rabbi ist der Sabbat ohnehin ein Arbeitstag.»

35
     
    Lanigan war im Aufbruch, als der Rabbi anrief. «Ich muss Sie
unbedingt sprechen – es ist wegen Goralsky.»
    «Tut mit Leid, Rabbi», sagte Lanigan. «Ich bin gerade am Gehen.»
    «Es ist aber sehr wichtig.»
    «Im Augenblick geht’s unmöglich … Ich bin in zwanzig Minuten
draußen bei Goddard verabredet; Amos Quint und Dr. Sykes erwarten mich. Wenn wir
Glück haben, kriegen wir jetzt endlich was Handfestes zu fassen.»
    «Sie machen einen großen Fehler, Lanigan. Sie versteifen sich
auf Goralsky … Sie tun ihm unrecht.»
    «Rabbi, es tut mir schrecklich Leid, aber ich muss jetzt weg
… Ich komm später bei Ihnen vorbei, ja?»
    «Später ist es vielleicht schon zu spät.»
    «Es wird uns schon nichts davonlaufen.»
    «Doch, Lanigan: Gerüchte und Tratsch laufen
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