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Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts
Autoren: Harry Kemelman
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Der Rabbi nahm den Hörer ab. «Ja?»
    «Ist dort Rabbi Small?» Die Stimme war sehr laut. «Hier spricht
Stanley. Stanley Doble vom Tempel.»
    Stanley war der Hausmeister in der Synagoge, und obwohl er
den Rabbi fast täglich sah, identifizierte er sich am Telefon jedes Mal
feierlich als (Stanley Doble vom Tempel), als sei das eine Art von Adelstitel.
Er konnte sonst mit allem, was mit Elektrizität und Mechanik zu tun hatte, sehr
geschickt umgehen, betrachtete aber offenbar das Telefon als Verbindungsrohr,
durch das man möglichst laut schreien muss, um gehört zu werden.
    «Entschuldigen Sie die Störung, Rabbi, aber der
Lautsprecher ist kaputt.»
    «Was ist los damit?»
    «Na, die Anlage ist kaputt. Funktioniert nicht richtig. Sie
heult.»
    «Vielleicht geht’s bis heute Abend wieder», meinte der Rabbi,
für den alle technischen Einrichtungen etwas Geheimnisvolles hatten – aus
irgendeiner Laune heraus versagten sie plötzlich, um dann aus ebenso
unerklärlichen Gründen auf einmal wieder zu funktionieren. «Vielleicht ist’s
nur eine kleine Reparatur?», fragte er hoffnungsvoll.
    «Ich hab die Kabel kontrolliert und nichts gefunden … muss
wohl am Mikrofon liegen. Wahrscheinlich futsch.»
    «Kann man nicht jemand holen? Vielleicht die Firma, die damals
die Anlage installiert hat?»
    «Die ist in Boston.»
    Der Rabbi warf einen Blick auf die Uhr. «Das hat jetzt
keinen Sinn mehr … Gibt’s niemand in Lynn oder Salem?»
    «Die Geschäfte sind schon zu, Rabbi.»
    «Dann werde ich eben lauter sprechen müssen. Rufen Sie den
Kantor an und sagen Sie ihm Bescheid.»
    «Okay, Rabbi. Tut mir Leid, dass ich gestört hab, aber ich dachte,
’s ist besser, Sie wissen’s vorher.»
    Der Rabbi begann die Suppe zu löffeln, da klingelte es
wieder. Mrs. Robinson, die Präsidentin des Frauenvereins, war am Apparat.
    «Hallo, Rabbi? Hier spricht Sue Robinson …» Sie war ganz
außer Atem. «Verzeihen Sie, wenn ich Sie noch so kurz vor Festbeginn beim
Meditieren störe, aber es ist entsetzlich wichtig … Sie werden doch ganz
bestimmt die Blumendekorationen erwähnen? Kann ich mich drauf verlassen?» Es klang
wie ein Vorwurf.
    «Selbstverständlich. Einen Moment, bitte.» Er schlug das Gebetbuch
auf, in dem ein Zettel steckte: «Da hab ich’s schon. Die Blumenarrangements
wurden vom Frauenverein gestiftet.»
    «Da muss was geändert werden … Haben Sie Papier und Bleistift?
Ich warte.»
    «Ich bin bereit.»
    «Rose Bloom … Nein, schreiben Sie lieber: Gestiftet von Mr.
und Mrs. Ira Bloom zum Andenken an ihren Vater David Isaac Levin … Haben Sie’s?
Ich hätte schon früher angerufen, aber Mrs. Bloom hat es mir erst vor einer
halben Stunde gesagt.»
    «Ich will dran denken.» Er las ihr noch einmal vor, was er sich
notiert hatte.
    «Großartig, Rabbi. Und vielen Dank.»
    «Bitte schön.»
    Er setzte sich wieder an den Tisch, aß ein paar Löffel
Suppe und schüttelte den Kopf. «Ich glaube, ich bin satt», entschuldigte er
sich.
    «Sie ist sicher kalt geworden.» Sie nahm den Teller.
«Warte, ich wärm sie dir rasch, damit …»
    Das Telefon. Mrs. Rosoff.
    «Sagen Sie, Rabbi», schnaufte sie aufgeregt, «wie viel
wiegt die Thora? Die Rolle, wissen Sie.»
    «Die Tho… Also das weiß ich wirklich nicht, Mrs. Rosoff. Die
Rollen sind nicht alle gleich groß und daher verschieden schwer … Ist es so
wichtig? Ich würde sagen, im Schnitt so bei fünfundzwanzig, dreißig Pfund.»
    «Und ob das wichtig ist! Mein Mann hat letzte Woche eine Mitteilung
bekommen, dass er an Jom Kippur zu einem Ehrendienst aufgerufen werden
soll – als Hagboh. Ich hab erst jetzt erfahren, was das bedeutet: Er
muss die Thorarolle an den beiden Griffen hochhalten. Hoch überm Kopf … Ich bitte
Sie, Rabbi – ehrt man so einen Mann, der vor drei Jahren einen Herzinfarkt
gehabt hat? Sind das die Ehren, die man austeilt, Rabbi? Wollen Sie, dass er
vor dem Thoraschrank zusammenbricht?»
    Der Rabbi versuchte ihr zu erklären, dass dafür die
Ritualkommission zuständig sei und dass man dort über Mr. Rosoffs
Gesundheitszustand sicherlich nicht Bescheid gewusst habe.
    «Es ist nicht weiter schlimm, Mrs. Rosoff, weil Hagboh der
eine von einem Paar ist. Die beiden heißen Hagboh und Glilloh. Hagboh hebt die Thorarolle hoch, und Glilloh rollt sie auf und bindet sie
zu … Ihr Mann braucht nur zu sagen, dass er lieber die Thora aufrollen möchte,
dann wird sie der andere hochheben.»
    «Rabbi, Sie kennen meinen Mann nicht. Glauben Sie, dass er
auf die
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