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Am Montag flog der Rabbi ab

Am Montag flog der Rabbi ab

Titel: Am Montag flog der Rabbi ab
Autoren: Harry Kemelman
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gelegentlich ein freies Wochenende. Er ist erschöpft und überarbeitet. Er muss weg von seiner gewohnten Arbeit, damit er Gelegenheit zum Nachdenken bekommt. Glauben Sie, es ist leicht für mich, zusammenzupacken, auf drei Monate wegzugehen und von unseren Ersparnissen zu leben? Sie haben Recht, ich führe den Haushalt. Ich bin diejenige, die sich Sorgen über Ausgaben macht. Und diese Reise wird teuer – allein die Fahrtkosten …»
    «Haben Sie eine Rundreise vor oder was in der Art?»
    «Wir wollen nach Israel, nach Jerusalem.»
    «Ach so. Hören Sie, Mrs. Small, wenn sich’s um Israel dreht, also das kann ich verstehen. Ich meine, er ist doch Rabbi, natürlich muss er mal dort gewesen sein. Wahrscheinlich ist er der einzige Rabbi in der Gegend, der noch nicht in Israel war. Wissen Sie was, Don Jacobson – er sitzt im Vorstand – ist in der Touristikbranche. Ich wette, er kann da was arrangieren. Vielleicht eine dreiwöchige Rundreise mit ihrem Mann als Reiseleiter. Das kostet ihn dann keinen roten Heller. Ich spreche mit Jacobson.»
    Der Rabbi kam bei den letzten Sätzen zurück. Er sagte zu Miriam: «Nichts Wichtiges.» Und zu Drexler: «Nett von Ihnen, dass Sie etwas arrangieren wollen, aber wir möchten eine Zeit lang dort leben, in Jerusalem, und keine Stippvisite als Touristen machen.»
    «Sie wollen bloß nach Jerusalem? Keine Rundfahrt, keine Sehenswürdigkeiten? Und für drei Monate? Warum?»
    Der Rabbi lachte kurz auf. «Die Begründung wird Ihnen vielleicht nicht zwingend vorkommen, Mr. Drexler, aber ich will versuchen, es ihnen zu erklären. Pessach ist eines unserer Hauptfeste. Wir feiern es nicht nur mit einem Gottesdienst, sondern mit einem durchdachten Ritual, damit sich uns seine Lehre, die Philosophie, auf der unsere Religion basiert, einprägt.»
    «Ach, Sie sind immer noch verärgert über unseren Beschluss, den Gemeinde- Seder ausfallen zu lassen? Also da gab es begründete finanzielle …»
    «Nein, Mr. Drexler, ich bin nicht verärgert über den Beschluss des Vorstands», versicherte ihm der Rabbi. «Es gibt auf beiden Seiten gute Argumente, obwohl ich darauf hinweisen möchte, dass in dieser Frage der Rabbi der Gemeinde normalerweise konsultiert wird. Nein, ich wollte sagen, dass das Ritual mit einem frommen Wunsch endet: ‹Nächstes Jahr in Jerusalem.› Diesen Wunsch habe ich nun bei jedem Pessach-Seder am Schluss ausgesprochen, aber vergangenes Jahr war es für mich kein Wunsch, sondern ein Versprechen, eine religiöse Verpflichtung, wenn Sie so wollen.»
    Drexler war beeindruckt und blieb in den restlichen Minuten seines Besuches gedämpft und respektvoll. Doch als er nach Hause kam, hatte sein angeborener Zynismus wieder die Oberhand gewonnen, und er antwortete auf die Frage seiner Frau nach dem Verlauf des Gespräches: «Er sagt, er möchte weg und eine Weile in Jerusalem leben. Für ihn ist das so was wie ’ne religiöse Verpflichtung. Wem will er damit was vormachen? Er ist einfach faul und möchte ’ne Zeit lang rumgammeln. Da spart er nun ein bisschen Geld, und jetzt will er’s verpulvern.»
    «Na, er kriegt doch wohl sein Gehalt …»
    «Nein.»
    «Was, ihr wollt ihm sein Gehalt nicht weiterzahlen?», fragte sie ungläubig.
    «Hör mal, er lässt sich beurlauben. Kein Mensch zahlt jemand, der sich beurlauben lässt, das Gehalt weiter.»
    «Ziemlich schofel, findest du nicht? Hat das der Vorstand beschlossen, oder war das deine Idee, Marty?»
    «Sieh mal, Ethel, es ist nicht mein Geld, sondern das der Gemeinde. Als Schatzmeister ist es meine Pflicht, es in ihrem Sinne zu verwalten. Ich kann es doch nicht einfach zum Fenster rauswerfen, nur weil sich’s um den Rabbi handelt. Außerdem war das sein Vorschlag.»
    Sie antwortete nicht, weder jetzt noch später, als er während der Werbesendungen im Fernsehen gelegentlich Bemerkungen fallen ließ, wie: «Manche Männer haben’s wirklich gut. Sie machen drei Monate blau, und ihre Frauen sagen auch noch Ja und Amen zu dem Blödsinn.» Und: «Wenn er’s aus der eigenen Tasche bezahlt, hat er uns gegenüber natürlich keinerlei Verpflichtung. Wahrscheinlich schreibt er jetzt an Dutzende von Gemeinden und fragt nach wegen ’ner Stellung.»
    Sie lagen bereits zu Bett, und er war gerade am Einschlafen, als sie sagte: «Weißt du, Marty, es ist sicher verrückt, ich weiß, aber irgendwie finde ich’s auch nett.»
    «Wovon redest du eigentlich?»
    «Ich meine, wenn man seine Stellung hinschmeißt und einfach abhaut …»

4
    «Er
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