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Am Montag flog der Rabbi ab

Am Montag flog der Rabbi ab

Titel: Am Montag flog der Rabbi ab
Autoren: Harry Kemelman
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ist ein tief religiöser Mensch. Außerdem brauchten sie damals in der Gründungszeit Leute mit Geld. Man erwartete von ihnen, dass sie dauernd in die Tasche griffen, um eine Rechnung für Heizmaterial oder das Gehalt für einen Lehrer selber zu bezahlen, wenn in der Gemeindekasse Ebbe war. Sie bekamen dafür Schuldscheine von der Gemeindeverwaltung, aber meiner Meinung nach haben sie nie wirklich damit gerechnet, dass die Gemeinde je imstande wäre, ihnen das Geld zurückzuerstatten. Soviel ich weiß, stehen ein paar Beträge immer noch offen. Na ja, man musste schon ganz schön bei Jahren sein, um dieses Geld anzusammeln.»
    «Stimmt», gab Harvey zu.
    «Und als die Gemeinde sich dann zu stabilisieren begann, ich meine, als wir die laufenden Ausgaben bestreiten konnten, da kamen Leute wie Mort Schwarz ans Ruder. Etwas jüngere Männer, aber immer noch ganz schön betucht. Damals hatten wir nämlich dauernd Spendensammlungen, und man konnte doch niemand drängen, ’ne große Schenkung oder ’ne Geldzusage zu machen, wenn man nicht selber ordentlich berappt hatte.»
    Harvey zog übertrieben überrascht eine Augenbraue hoch. «Na, du hast doch für so was kein Geld. Oder hältst du das etwa geheim, Ben?»
    Aber Gorfinkle reagierte nicht. «Ach, als meine Clique ans Ruder kam, war die Gemeinde völlig schuldenfrei», sagte er ernst. «Sie wollten jemand, der den Laden richtig schmeißen konnte, einen Verwaltungsfachmann und Geschäftsführer.»
    «Was ist mit Raymond und Drexler? Sind sie nicht auch Verwaltungsspezialisten?»
    Ben schüttelte den Kopf. «Nein, sie sind anders. Zunächst mal jünger. Und dann sind sie alle entweder Akademiker oder Geschäftsleute. Ich vermute, sie stehen sich durch die Bank recht gut, aber natürlich sind sie trotzdem auf Geld aus. Und für einen Rechtsanwalt wie Bert Raymond oder Paul Goodman ist es nützlich, ein großes Tier in so ’ner Organisation wie der Gemeinde zu sein. Da wird man auch bei Leuten bekannt, mit denen man sonst nie zusammenkommen würde. Sehr günstig für Wirtschaftsprüfer wie Stanley Agranat oder für die Ärzte und Zahnärzte, die zu der Clique gehören.»
    «Mit anderen Worten, du meinst, sie sind nur wegen der Publicity dabei?», neckte ihn Harvey gutmütig. «Ganz anders als ihr zum Beispiel.»
    Ben überhörte die Stichelei. «Nein, das wäre nicht fair. Sagen wir lieber so – sie achten auf so was. Außerdem wollen sie natürlich mitmischen, klar. Aus demselben Grund mischen sie auch in der Stadtverwaltung mit.»
    «Also gut», sagte Harvey, der endlich ernst wurde. «Und aus welchem Grund haben sie deiner Meinung nach den Rabbi auf dem Kieker?»
    Gorfinkle überlegte kurz. «Das ist ein bisschen schwierig zu erklären. Einmal ist er gleichaltrig, fünfunddreißig, und denkt trotzdem nicht so wie sie. Für Geld hat er kein besonderes Interesse, und an mehr Prestige liegt ihm auch nichts. Seitdem er hier ist, hat er ein paar ganz hübsch sensationelle Dinge gemacht, aber nie dafür um Publicity geworben. Nicht etwa aus Bescheidenheit – er ist nicht bescheiden –, sondern weil er so was nicht für wichtig hält. Bei einem Älteren würden sie das vielleicht hinnehmen, aber nicht bei einem Gleichaltrigen. Verstehst du?»
    Harvey nickte. «Ich denke schon.»
    «Und dann noch was. Der Rabbi weiß genau, was er will, und sagt alles, was er denkt – ohne Hemmungen.»
    «Du meinst, er ist autoritär? Überheblich? Stur?»
    «Nein. Allerdings hat es gelegentlich den Anschein, und vielleicht finden das manche auch.» Ben lachte trocken. «Ich gehörte auch einmal zu diesen Leuten.»
    «Ich erinnere mich.»
    «Aber es ist was anderes», fuhr Ben fort. «Der alte Jake Wasserman hat mal von ihm gesagt, er hätte so ’ne Art Radarstrahl für jüdische Tradition in seinem Kopf. Wenn die Gemeinde nach der einen oder anderen Seite ausschert, hört er einen Pfeifton. Dann weiß er Bescheid und treibt uns auf den rechten Weg zurück. Die Kinder auf der High School und im College, wie mein Stuie, sind ganz weg von ihm. Ich hab Stuie danach gefragt. Er hat mir erklärt, es läge daran, dass sie bei ihm genau wissen, woran sie sind. Soweit ich verstanden habe, schmeißt er sich nicht an sie ran und behandelt sie auch nicht von oben herab.»
    «Ich glaube, ich kann mir jetzt ein Bild machen. Und was verursacht dir nun Kopfschmerzen?»
    «Hm. Also einmal stimmen die Jungen nicht mit ab.»
    «Ach so, du hast Angst, dieser Drexler und seine Freunde werden ihn
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