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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit
Autoren: Jorge Molist
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Roland
entdeckte.
    Hierauf beschrieb sie ausführlich die Qual Rolands, der immer noch ein mittelloser Junge war. Er sehnte sich danach, zu seiner Liebsten zu eilen, doch er konnte die Reise nicht unternehmen, ohne vorher herauszufinden, wo sich seine Familie aufhielt, denn er hatte geschworen, sie zu befreien. Das Unglück verfolgte ihn und beraubte ihn seiner Freiheit, und er hatte Angst, dass er zu spät zu ihr kam und sie schon verheiratet war.
    Doch die Macht der Liebe war stärker als sie beide. Sie ließ sich nicht aufhalten, wie die Gewalt der Sturzbäche, die zu Flüssen anschwellen, oder die des wütenden Meeres. Sie konnten nichts tun. Sie liebten sich.
    Als Anna zu diesem Punkt gelangt war, schloss sie die Augen, stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und verbarg das Gesicht in den Händen.
    Joan, der sie beobachtete und dabei den Atem anhielt, schreckte bei jeder ihrer Bewegungen zusammen. Er sah, dass sie anders, jedoch schön wie immer war. Er liebte sie. Er liebte sie verzweifelt.
    Danach erzählte das Buch vom Ritter Reinald, dem Gatten und Beschützer Angelicas, »der tapfer, stolz und wild war und den das grausame Schicksal gegen Roland stellte«.
    Die Geschichte erzählte auf tragische Weise, dass Reinald ein tapferer Ritter war, der sich nicht versteckte, wie es die meisten Adligen auf der Karavelle getan hatten, sondern kämpfte. Und dass er noch leben würde, wenn er, anstatt zu kämpfen, seine Waffe übergeben hätte wie die anderen, als alles verloren war. Seine eigene Tapferkeit hatte ihn verurteilt.
    Anna runzelte die Stirn, und Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie dachte an Riccardo, der tatsächlich mannhaft und tapfer gewesen war, doch sie sagte sich, wenn er nicht Joan in seinem Haus gesehen hätte, wäre er noch am Leben.
    Reinald war ein ganzer Mann, und bis zum Ende kämpfte er aus einem jener unbegreiflichen Gründe, derentwegen manche Männer und Frauen sterben, obwohl sie es verhindern könnten. Aus Ehrgefühl, aus Liebe, um des Vaterlandes oder der Würde willen.
    Anna schüttelte den Kopf. Vielleicht war alles ein bitteres Missgeschick, aber es sprach sie und Joan nicht von Schuld frei. Wieder brachte das Buch eine Antwort auf ihre Gedanken.
    Roland und Angelica liebten sich, und das war ihre große Sünde. Trotzdem verlangte ihre Sünde nach Buße, damit diese übermächtige und wunderbare Liebe, die beide fühlten, nicht auf ungerechte Weise verlorenginge.
    Nachdem Reinald gestorben war, konnte man nur noch für seine Seele beten und ihm ein würdiges Begräbnis ausrichten. Seine Witwe sollte ihn mit ihrem Leid und ihrer Trauer ehren. Und das tat sie mehr als genug.
    Nachdenklich blickte sie zu den Deckenbalken hoch. Das war eine bekannte, vertraute Geschichte, die jedoch ganz anders erzählt wurde, als sie es erlebt hatte. Sie sagte sich, vielleicht stimmte es, vielleicht hatte das Buch ja doch recht. Als sie umblätterte und weiterlas, erschrak sie.
    »Das Buch der Liebe« unterwirft Euch, Angelica, und Roland einer Buße, die Euch von Eurer Sünde erlösen wird.
    Anna spürte, dass das Buch sie jetzt unmittelbar ansprach. Beinahe konnte sie die Worte hören.
    Für Reinald könnt Ihr nichts mehr tun, wohl aber für sein Kind. Angelica, erlaubt, dass Roland seine Schuld und das von ihm begangene Böse sühnt, indem er Gutes tut. Dass er Reinalds Kind liebt, als wäre es sein eigenes, und dass er seine ganze Mühe darauf verwenden wird, einen tapferen Ritter wie sein Vater oder eine ehrbare Dame wie seine Mutter aus ihm zu machen.
    Anna seufzte. Ihr blieben nur wenige Zeilen, und sie las begierig weiter:
    Angelica, Ihr müsst das Leid überwinden, denn die Liebe wird die Buße für Eure Schuld sein. Euch erwartet eine wunderbare Zukunft – jene Zukunft, von der Ihr in der Zeit geträumt habt, als Ihr am Brunnen standet.
    Diese Zukunft zu versäumen würde die größte Sünde sein. Eine Sünde, für die Ihr niemals Vergebung und Buße finden würdet.
    Anna schloss das Buch und auch ihre Augen. Sie wusste, dass sich Joan hinter diesen Seiten versteckte. Es waren seine Schrift und seine Worte. Vielleicht hatte er das Buch sogar selbst hergestellt. Sie fühlte, dass er ihr ganz nahe war. Sie strich zärtlich über das Buch. Diese Geschichte, diese Argumente, seine Seele schienen das Werk eines klugen Kopfes zu sein. Es war ihr zu Herzen gegangen und hatte ein Fenster der Hoffnung in ihrer dunklen Wohnstätte geöffnet.
    Sie legte das Buch auf den Tisch des kleinen
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