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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees
Autoren: Andrea Fazioli
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genug vom Schweizergrau. Hier saß er, inmitten eines tropischen Paradieses, hatte Geld wie Heu, das Damoklesschwert eines Gerichtsverfahrens hing nicht mehr über ihm. Was hatte er zu befürchten?
    »Um welche Uhrzeit wünschen Sie zu speisen?«, fragte der Bedienstete am Empfang, als Finzi auf dem Rückweg in sein Zimmer bei ihm vorbeikam.
    »In einer halben Stunde. Ich bin ein bisschen müde. Ich hätte auch Wäsche zu waschen.«
    »Kein Problem, ich schicke Ihnen unseren Wäschereimitarbeiter.«
    Später, als er sich zum Essen umzog, klopfte es an der Zimmertür.
    » Come in! «, rief Finzi.
    »Sie haben mich gerufen, Signor Finzi?«, fragte, auf Italienisch, der Wäschereimitarbeiter, ein muskelbepackter junger Mann.
    »Ah, da bist du ja!«, antwortete Finzi. »Hör mal, ich glaube nicht, dass Sutter schon heute Abend was plant, trotzdem sollten wir lieber auf der Hut sein.«
    »Hier im Hotel?« Der junge Mann ließ die Schultern rollen. »Im Hotel kann er nichts machen, das ist zu riskant für ihn.«
    »Du tust, was ich dir sage, okay? Und halte vor allem die Ohren offen. Ist dem Typen an der Rezeption zu trauen?«
    »Ach, der kriegt nicht viel mit.«
    »Gut, aber behalte ihn im Auge. Jetzt geh, und denk dran, dass ich in einer Viertelstunde zum Essen gehe: Schau dich um!«
    Als er auf die Terrasse hinaustrat, brach die tropische Nacht herein. Im dunklen Gebüsch glommen Leuchtkäfer auf und verlöschten wieder, der Wind hatte gedreht und wehte jetzt ablandig. Am Horizont standen die Wolken in Flammen, und jetzt ging auch die Sonne unter und färbte das Wasser für kurze Zeit rosa und orange - und innerhalb weniger Minuten war es dunkel.
    Aus den Wäldern tönte ein ununterbrochenes Gezwitscher, wie in Europa im Frühling. Das seien keine Vögel, erklärte der Kellner, sondern kleine Baumfrösche. Finzi dankte ihm für die Auskunft und bestellte Steak mit Bratkartoffeln, dazu ein Gericht aus roten Bananen, Papaya mit einem Spritzer Zitronensaft und ein Stück Mandarinentorte. Zum Abschluss trank er einen Whisky, um den Schlaf herbeizurufen, dann zog er sich in sein Zimmer zurück.
    Beim Rauschen der Klimaanlage sah er sich um, betrachtete er die gold roten Wände, die englischsprachige Bibel auf dem Nachtkästchen und den Schreibtisch mit der lackierten Holzplatte. Das leere Glas auf der Ablage im Bad. Die Anweisungen für das richtige Verhalten im Fall eines Brandes oder Orkans. Hotelzimmer stimmen einen doch immer melancholisch, dachte er, aber das geht auch bald vorbei. An den Wänden hingen Ansichten der Insel Tortola »aus der wilden Epoche der Freibeuter«. Er nahm sich noch einen Whisky aus der Minibar und trat auf den Balkon hinaus.
    Musik tönte von der Straße herauf. Es war eine Bläsergruppe, die schrill eine klagende Calypsomelodie spielte. Finzi trank Whisky. Im Dunkeln hinter ihm wehte das Moskitonetz. Sekundenlang verspürte er Heimweh. Wie denn das? Er sehnte sich doch nicht etwa nach der Schweiz zurück? Er dachte an seine Geschäfte, an Handschläge, Betrug und Politiker mit Wolfslächeln. Die Musik entfernte sich und verklang nach und nach. Nur dieses Gezwitscher aus den Bäumen war noch zu hören.
    Er hatte Heimweh nach seinem Leben. Aber nicht nach dem Leben, das er kannte.
    Irgendwann im Dunkel der verstrichenen Jahre war sein Leben allem begegnet, was es hätte sein können, aber er hatte nie innegehalten. Wie zwei Nachtzüge, die auf parallelen Gleisen aneinander vorbeifahren. Er nippte an seinem Whisky und empfand einen Anflug von Bedauern. Gut, er hatte niemanden umgebracht, das ließ sich beweisen. Und er hatte auch nicht gestohlen: Er war Geschäftsmann.
    Aber da war dieser Anflug von Reue.
    Vielleicht war es das Bedauern, dass er diesen Zug nicht angehalten hatte, der auch jetzt, in der schon fast schwarzen Nacht, immer weiterfuhr, auf das Morgen zu, auf ein Hasardspiel, das immer komplizierter und immer verzweifelter wurde.
    Und in den Wäldern dort draußen sangen keine Vögel, sondern kleine Frösche, die auf Bäumen leben.
     

Dank
    Einen Roman zu schreiben ist auch eine Gruppenarbeit. Deshalb möchte ich alle nennen, die mir mit ihren Recherchen, ihren Korrekturen und ihrer Unterstützung geholfen haben. Für den großen Aufwand der Überarbeitung und die guten Ratschläge danke ich Maria und meinen Angehörigen, Patrick Coggi, Davide Dall’Ombra, Pietro Foglia, Luigi Mattei, Nicola Mazzi, Gregorio Ortelli, Nicola Pinchetti. Für seine wertvolle Beratung danke ich Kommissar
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