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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees
Autoren: Andrea Fazioli
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sein. Amedeo Finzi war angewidert von der Naivität dieses Sutter. Der hielt sich wohl für besonders schlau, nur weil die Sonnenbräune auf den ersten Blick über die Schlangengrube seines Herzens hinwegtäuschte.
    Der puertoricanische Taxifahrer erwartete ihn lächelnd. Finzi zuckte die Achseln und zerrte sein Gepäck zu dem mehrfarbigen Auto. Sicher ließ ihn Sutter nicht am helllichten Nachmittag in einem Taxi umbringen.
    »Also, Chef, geht’s zum Cane Garden Bay? Dort kriegst du einen Rum nach Piratenart.«
    Immer dieselben Sprüche.
    Das Taxi hatte keinen Zähler, und der Fahrer begann um den Preis zu feilschen. Aber Finzi kürzte seinen Wortschwall ab.
    »Du willst sicher ein Trinkgeld?«
    Der Taxler nickte.
    »Dann sieh zu, dass du den Mund hältst, solang wir unterwegs sind.«
    Auf dem Flughafengelände, neben der Startbahn, scharrten zwei Hühner. Ein Uniformierter, der auf einem Schemel saß und mit einem Hölzchen in seinem Mund herumstocherte, bewachte sie. Finzi fragte sich, von welchem Korps diese Uniform stammen mochte - es konnte alles sein, Feuerwehr, Polizei, städtische Müllabfuhr. Vielleicht war es die Uniform der Geflügelwächter.
    Jedes Mal, wenn er auf den British Virgin Islands aus dem Flugzeug stieg, empfand Finzi die Hitze wie einen Schlag. Das Klima hier war immer gleich, jahrein, jahraus hatte es um die dreißig Grad … zum Glück ohne Feuchtigkeit. Die Straßen waren voller Jeeps und klappriger Taxis. In der Theorie galt Linksverkehr, doch Taxis fuhren grundsätzlich in der Mitte und verursachten Staus und Streit. Am Straßenrand hatte das Tourismusministerium die Wände mit seinem Slogan tapeziert: BVI - NATURE’S LITTLE SECRET.
    Das kleine Geheimnis der Natur. Tja - es war eines dieser Geheimnisse, die mit Gold aufgewogen werden. Finzi kurbelte das Fenster herunter und schnupperte die von tropischen Gerüchen schwere Luft. Es war der süßliche Duft von Oleander und Frangipani, den Tempelbäumen, in den sich der von den nord-östlichen Passatwinden herbeigetragene Meeresgeruch mischte.
    An etlichen Häusern waren die Fenster mit Holzbrettern vernagelt: eine Erinnerung an den letzten Hurrikan. Möge der nächste Orkan auch Sutter mitsamt seinem verdammten Surfbrett fortwehen, dachte Finzi. Als er mit ihm telefoniert hatte, war er fürchterlich gut gelaunt gewesen, der Bastard.
    »Finzi! Ich hab dich erst mit der nächsten Maschine erwartet!«
    »Ach ja?«
    »Wo bist du denn, noch am Flughafen? Es tut mir leid, ich bin gerade unabkömmlich …«
    »Ich fahre jetzt ins Hotel, aber treffen wir uns heute Abend?«
    »Leider bin ich momentan in Anegada und komme erst spät zurück. Vielleicht lieber morgen früh?«
    »Okay, ist mir auch recht. Bis morgen.«
    »Ciao! Und erhol dich - du bist sicher erschöpft.«
    Anegada war die nördlichste und abgelegenste der Britischen Jungferninseln. Ihr langes Korallenriff hatte über dreihundert Schiffbrüche verursacht - zur großen Freude der Taucher, die heute zwischen den Wracks umherstreiften. Die armen Ertrunkenen, die hier ihr Leben gelassen haben, dachte Finzi, hätten sich gewiss nie träumen lassen, dass sie einst zur Touristenattraktion würden. Aber so arm waren sie dann auch wieder nicht - schließlich waren in Road Town seit jeher die Piraten zu Hause. Gestern waren es Bloody Morgan und Schwarzbart, heute sind es Leute wie dieser Hurensohn Sutter. Und morgen?
    Na, man wird es sehen. Finzi war bereit zum Kampf. Er wusste, dass Sutter einiges gegen ihn in der Hand hatte, aber bevor er sein Beweismaterial der Justiz überantwortete, würde er eher versuchen, ihn umzulegen: Das war lukrativer - anschließend würde er die Beute mit den Polizisten teilen, die ihm den Rücken freihielten. Aber auch Finzi hatte Geld, auch er konnte es sich leisten, sich einen Leibwächter zu engagieren oder einen Polizisten zu bestechen.
    Nach einer Dusche und einem Martini fühlte Finzi sich wieder besser. Er zog eine Leinenhose und ein geblümtes Hemd an, nahm sein Zigarrenetui aus dem Koffer, setzte seine Sonnenbrille auf und verließ das Zimmer.
    Er setzte sich auf die Terrasse und blickte auf die Bucht hinaus, das kaum bewegte Meer, dessen Farbe von hellem Türkis in Dunkelblau überging. Von rechts leuchtete das Grün des Waldes herüber, und der Zusammenklang der beiden intensiven Farben gab ihm die Zuversicht zurück. Ja, er war kampfbereit. Er würde Sutter umlegen und seinen Platz einnehmen.
    Es war Zeit für einen radikalen Neuanfang. Er hatte
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