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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees
Autoren: Andrea Fazioli
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wenig von einer Brust, die so beschaffen war, wie man sie sich nur wünschen konnte. Chico rückte näher und begab sich mal wieder auf den gefährlichen Pfad der Kneipenkonversation.
    Was tust du so? Ach, ich bin noch nicht lang in Lugano, ich arbeite in einer Anwaltskanzlei, ich hingegen studiere an der Pädagogischen Hochschule, die allerdings nicht besonders hoch ist (ha, ha!), und ja, ich möchte Vorschulerzieherin werden, ach wie nett, magst du Kinder, ja? Ja, du nicht? Doch, natürlich, und wie.
    »Ich mag Kinder sehr«, wiederholte Chico und bemühte sich, seinen Blick nicht allzu unverhohlen über das pralle T-Shirt gleiten zu lassen. Indessen war er sich bewusst, dass man an einem toten Punkt angelangt war.
    Er besaß allerdings eine Geheimwaffe.
    Deshalb verschob er das Gespräch auf seinen Beruf und gestand ihr einleitend, dass der Alltag des Anwalts mitunter ein wenig öd sei. Jedoch erlebe man hin und wieder auch interessante Abenteuer. Was also erzählte der junge Anwalt dem ahnungslosen Mädchen?
    Es wurde ein sehr anschaulicher Bericht.
    »… und dann stand ich tatsächlich ohne Benzin da, nicht zu fassen, dabei war es eine Frage von Leben oder Tod, ich musste so schnell wie möglich nach Villa, um Contini und die anderen zu retten.«
    »Ach ja?«
    »Ja, zum Glück fand ich eine Tankstelle, die natürlich geschlossen war, aber der Besitzer wohnte direkt darüber, und ich klingelte ihn aus dem Bett. Er beschimpfte mich fürchterlich, aber ich bekam, was ich wollte, und am Ende konnte ich weiterfahren. Und die Fahrt dort hinauf war die Hölle, das kannst du mir glauben.«
    »Ich kann’s mir vorstellen!«
    »Dann, als ich endlich oben war, wen finde ich vor dem Haus? Die arme Francesca, die nicht wusste, was sie tun sollte. Dass drinnen etwas schieflief, war uns beiden klar, aber wir waren ja unbewaffnet, verstehst du?«
    »Ja. Klar versteh ich.«
    »Also beschlossen wir, auf den Überraschungseffekt zu setzen. Und dann …«
    Es lief nicht wie erhofft. Chico erkannte, dass sein Bericht nicht die gewünschte Wirkung zeitigte. Dabei hatte ihn dieses Abenteuer einiges gekostet. Abgesehen vom Schrecken, von der Panne inmitten einer Schneehölle, der halsbrecherischen Gebirgsfahrt, dem gesundheitsgefährdenden Sprung durch eine Glasscheibe hatte sich Chico am Ende auch noch eine neue Stelle suchen müssen. Eine beeindruckende Geschichte, nicht? Anscheinend nicht. Tecla gähnte.
    Vielleicht redete er einfach zu viel. Las man nicht immer wieder, dass Frauen Männer schätzen, die zuhören können?
    »Aber erzähl doch mal von dir«, warf er hin. »Wohnst du hier in Lugano?«
    »Nein, in Locarno.«
    »Ah, schön, schöne Stadt! Gefällt’s dir dort?«
    »Ja.«
    »Ich bin immer zum Sommerfestival dort. Wunderbare Atmosphäre!«
    »Ja, das stimmt, ich geh auch immer hin.«
    Als ihm bewusst wurde, dass er drauf und dran war, sie zu fragen, ob sie in letzter Zeit einen guten Film gesehen habe, beschloss er, einen radikalen Schnitt zu machen und die Taktik zu wechseln: Ob sie vielleicht Lust auf einen kleinen Spaziergang habe.
    »Bisschen frische Luft schnappen - der ganze Rauch hier drinnen geht mir schon auf die Nerven …«
    Teclas Blick senkte sich zu dem Lucky-Strike-Päckchen in seiner Hemdtasche, aber sie sagte nichts. Sie lächelte nicht einmal. Sie war keine, die sich in anderer Leute Angelegenheiten mischte.
    Draußen im Freien stellte Chico noch ein paar Fragen. Nur um ihr zu beweisen, dass er zuhören konnte. Sie gingen an der Kirche San Rocco vorbei und durch die Via Camuzio zum See hinunter.
    Aber es lief noch immer nicht rund: Wenn er redete, langweilte sie sich, aber wenn er schwieg, sagte sie auch nichts. Verstehe einer die Frauen. Außer dem sensationellen T-Shirt trug Tecla nicht minder sensationelle hautenge Jeans und balancierte auf sehr hohen Absätzen. Dies lenkte Chico zusätzlich ab, und schließlich entschloss er sich zum Sprung ins kalte Wasser.
    Was hatte er schließlich zu verlieren? Sie waren jetzt auf der Seepromenade und gingen in Richtung Ciani-Park. Als eine Bank am Wegesrand auftauchte, sagte er in gleichgültigem Ton: »Setzen wir uns einen Moment, und dann gehen wir wieder zurück, okay?«
    Sie sah ihn mit unergründlicher Miene an und setzte sich.
    »Hey«, sagte er, »es ist wirklich fast schon Frühling, nicht?«
    »Noch ein bisschen kalt …«, murmelte sie.
    Woraufhin ihr Chico beiläufig eine Hand aufs Knie legte. Tecla zuckte mit keiner Wimper. Sanft nahm sie seine
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