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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees
Autoren: Andrea Fazioli
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aus.
    »Aber es wird doch zum Prozess kommen, früher oder später?«
    »Ich weiß es nicht. Wieso vergessen Sie die Sache nicht einfach?«
    »Und was ist mit Ihnen?«
    »Ich mache meine Arbeit. Ich weiß, wie weit ich kommen kann.«
    »Aber Finzi ist schuld, dass jetzt sechs Menschen tot sind, mein Vater und Martignoni mitgerechnet. Und ich soll heimgehen und die Sache vergessen?«
    »Machen Sie ebenfalls Ihre Arbeit, Contini. Was wollen Sie denn - Rache?«
    »Nein, das nicht …«
    »Oder suchen Sie Gerechtigkeit? Und Sie glauben, Sie könnten so Ihre Probleme lösen?«
    »Weiß ich nicht.« Contini stand auf. »Vielleicht geh ich jetzt einfach mit Finzi auf ein Bier. Soll ich ihm was von Ihnen ausrichten?«
    Die Hand des Kommissärs fuhr zum Feuerzeug und ließ es aufschnappen.
    »Hören Sie, Contini …«
    »Also nicht. Man sieht sich, Herr Kommissär!«
    »Hm. Ich hoffe, dass Sie sich von Finzi fernhalten. Ich hoffe es Ihretwegen!«
    Zurück in Corvesco genehmigte sich Contini einen Aperitif im Grotto Pepito. Er wechselte ein paar Worte mit Giocondo, war aber nicht recht bei der Sache. Zu Hause wandte er seine Überlebensstrategien an.
    Erstens, ein richtiges Abendessen kochen. Er enthäutete Tomaten, stellte sie mit Oregano und entkernten schwarzen Oliven auf den Herd, kochte Penne, vermischte sie mit der Tomatensoße, streute Pecorino darüber. Eine leichte, aber nicht zu leichte Mahlzeit.
    Zweitens, den Kater füttern und seinen Protest ignorieren.
    Drittens, die Schwarzweißfilme durchforsten. Er fand einen Western mit Randolph Scott, der ihm zusagte; auf dem Sofa, ein Bier in der Hand, sah er zu, wie ein desillusionierter Sheriff Gerechtigkeit sucht, und dachte an Kommissär De Marchi.
    Sicher, wer Rache sucht, bleibt am Ende allein. Und du kannst zwar so weit fort reiten, wie du willst, nachdem du das letzte Duell gewonnen hast: Aber sieht das nicht nach Flucht aus?
    Und Erinnerungen umbringen, das hat noch keiner geschafft.
    Bevor er ins Bett ging, setzte er sich zu einer letzten Zigarette auf die Veranda. Er hatte die Göttliche Komödie mitgebracht und schlug aufs Geratewohl eine Seite auf. Und stellte wieder einmal fest, dass ihn alles in diesem Buch an seinen Vater erinnerte. Und wieder sah er sein mumifiziertes Gesicht unter Wasser … Die Hand ihm neigend, grüßt ich das verehrte, das teure Antlitz: »Herr Brunetto - sehe ich hier Euch wieder! «
    An diesem Abend waren die Überlebensstrategien eine zweischneidige Waffe.
    Vielleicht musste er wirklich eine neue Seite aufschlagen.
    Er tat es in dem Buch in seinen Händen, schlug hinten im Paradies eine Seite auf und ließ seine Gedanken schweifen … Sah ich doch in des Winters harten Tagen den Dornenbusch verdorrt und stachlicht stehen und hoch ihn sommers dann die Röslein tragen … Ja, vielleicht. Aber es war spät geworden, und Contini hatte, ohne es eigentlich zu merken, eine Entscheidung getroffen. Morgen schließe ich diese Geschichte ab, sagte er sich und drückte seine Zigarette aus.
    Ich stehe früh auf, tue, was ich tun muss, und dann ist es gut.
     

29
    Morgen ist es zu spät
    Tags darauf waren in den Straßen von Chiasso zahlreiche Passanten in luftiger Kleidung unterwegs, Fremde grüßten einander in Frühlingsstimmung. Im Schatten ist es noch kühl, aber in der Sonne ist es angenehm. Wem sagen Sie das, gnädige Frau, der einzige Wermutstropfen sind diese verdammten Pollen. Heuschnupfen, wissen Sie (Gesundheit! Danke!). Ah, es ist wirklich furchtbar.
    Und Contini saß in seinem leicht zerknitterten Leinenanzug samt Strohhut im Vorzimmer des Büros von Amedeo Finzi.
    Er war mit dem Zug nach Chiasso gefahren, um sich den Verkehr zu ersparen. In aller Ruhe war er vom Bahnhof über den Corso San Gottardo und die Via Vela spaziert, hatte sich Schaufenster angesehen und sich zwischendurch ein paar Minuten auf eine Bank gesetzt. Bis er irgendwann die letzten Bedenken abgeschüttelt und bei Signor Finzi vorgesprochen hatte.
    »Sind Sie verabredet?«
    »Nein.«
    »Dann wird es …«
    »Ich bin sicher, dass Herr Finzi für mich zu sprechen ist.«
    Die Sekretärin setzte eine skeptische Miene auf, doch wirklich ließ ihn Finzi bereits nach zwanzigminütigem Warten hereinbitten. Er begrüßte ihn ohne Umschweife: »Was wollen Sie?«
    Contini seufzte. Dieselbe Frage wie De Marchi.
    »Und was wollen Sie ?«, fragte er zurück.
    Finzi lächelte breit und schüttelte seine grauen Löckchen.
    »Ah, Contini!«, rief er. »Sie ändern sich nie!«
    Der
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