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Am Ende der Straße

Am Ende der Straße

Titel: Am Ende der Straße
Autoren: Brian Keene
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unterhalten.
    Plötzlich hupte ein Auto und ließ uns zusammenfahren.
    Der Fahrer brüllte: »Schieb deinen Hintern von der Straße, du Penner!«
    Wir wandten uns dem Aufruhr zu. Mitten auf der Kreuzung stand Dez und wich den fahrenden Autos aus. Seine schäbigen, abgetragenen Klamotten wirbelten wie ein Cape um ihn herum und ließen ihn aussehen wie eine Vogelscheuche.
    Er grinste und nickte und machte entschuldigende Gesten, bekam dafür aber nur immer wieder den Stinkefinger gezeigt.
    »Das ist doch dieser Obdachlose, oder?«, fragte Tom.
    »Ja«, meinte jemand. »Verdammter Spinner.«

    »Er ist schizophren«, erklärte eine Frau. »Der arme Mann hat unser Mitleid verdient.«
    »Der ist nicht schizophren«, erwiderte ein übergewichtiger Mann, der nach Zigarren stank. »Der ist einfach nur völlig durchgeknallt.«
    »Mir tut er jedenfalls leid«, bekräftigte die Frau. »Er lebt in dem verlassenen Werkzeugschuppen gegenüber der Lutheranerkirche. Er nimmt einfach keine Hilfe an, von niemandem. Wir haben schon einmal versucht, ihm Essen zu bringen, aber er lehnt es ab.«
    Der fette Mann rollte mit den Augen. »Wie ich bereits sagte, Lady, der ist total irre. Er will nicht essen? Tja, Pech gehabt, würde ich sagen.«
    Wir beobachteten, wie Dez sich durch den Verkehr schlängelte. Es erinnerte mich ein bisschen an dieses Videospiel, Frogger. Ich atmete erleichtert auf, als er den Bürgersteig erreichte. Ich hatte ihn schon oft in der Stadt gesehen, aber noch nie aus der Nähe. Sein Alter war schwer zu bestimmen, aber er war definitiv jünger, als ich erwartet hatte, schätzungsweise irgendwo in den Dreißigern. Sein dichter Bart war zerzaust, aber sauber, und seine Haare waren zwar nicht gekämmt, schienen aber ebenfalls gewaschen zu sein. Eigentlich schien Dez – abgesehen von seinen Klamotten, die aussahen, als könnten sie alleine stehen – in ziemlich guter Verfassung zu sein. In der Tasche seines Trenchcoats zeichnete sich ein rundlicher Gegenstand ab, der unverwechselbare Umriss einer Flasche. Er lächelte, als er langsam an uns vorbeilief, fast so, als wäre er erschöpft.
    »Ich habe es geschafft«, sagte er immer noch lächelnd
zu uns. »Hätte nicht gedacht, dass ich rechtzeitig fertig werde, aber ich habe es geschafft. Ich habe es draußen gehalten. Solange sie niemand auslöscht, wird es gehen.«
    Unsere Gruppe nickte lächelnd und trat unangenehm berührt auf der Stelle. Keiner von uns wusste, wie er reagieren sollte. Einige schauten einfach weg. Andere starrten einander an. Einer lachte.
    »Sie kann nicht rein«, erklärte uns Dez. »Man muss nur die Worte kennen. Ist schon gut, dass ich sie in einem meiner Bücher hatte, sonst hätte sie uns verschluckt wie Jelly Beans. Kleine, menschliche Jelly Beans. Welche Geschmacksrichtung bist du?«
    Tom räusperte sich. Die anderen blieben stumm.
    Ich sprach ganz langsam, wie mit einem Kind: »Wovon redest du, Mann?«
    »Die Dunkelheit. Irgendjemand hat ihren wahren Namen ausgesprochen und sie in unsere Welt geholt. Ich wusste, dass sie kommen würde, deshalb habe ich die Worte aufgeschrieben und sie aufgehalten. Ich weiß aber nicht, wie man sie vertreiben kann. Ich weiß nicht, wie man die Tür wieder schließt.«
    Dez lief die Straße hinauf und bog um eine Ecke. Danach löste sich unsere Gruppe auf. Die Konfrontation mit dieser Abgedrehtheit machte uns plötzlich wieder zu Fremden. Falls das der Weltuntergang war, hatten wir alle unsere eigene Version davon, um die wir uns kümmern mussten.
    Außerdem gab es keinen heißen Kaffee mehr.
    Tom klopfte mir auf die Schulter. »War schön, dich mal kennenzulernen, Robbie.«

    »Ja, Mann, gleichfalls. Ich hoffe, deine Kinder sind okay.«
    »Ich auch. Ich …«
    Er schaffte es nicht, den Satz zu beenden. Sein Adamsapfel hüpfte krampfhaft, und seine Augen wurden feucht.
    »Meld dich mal«, schlug ich vor. »Lass mich wissen, wenn ich dir irgendwie helfen kann.«
    »Danke, das weiß ich wirklich zu schätzen. Werde ich machen. Bis dann.«
    »Alles klar, Mann, wir sehen uns.«
    Ich ging wieder in unser Haus zurück. Es war sehr still und das Treppenhaus irgendwie unheimlicher als zuvor. Ich holte tief Luft. Mein Magen knurrte, und ich überlegte, etwas zu essen – Weltuntergang hin oder her.
    Danach habe ich Tom Salvo noch zweimal gesehen. Beim ersten Mal nur ganz kurz. Und als ich ihn zum zweiten Mal wiedersah, war er tot.

VIER
    W ährend ich wieder hochging, beschloss ich nachzusehen, ob Russ in seiner Wohnung
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