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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman
Autoren: H kan Nesser
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sporadischer, aber treuer Kunde. Ein solcher war er gewesen, seit sie selbst Mitte der neunziger Jahre anfing, in der Tankstelle zu arbeiten.
    Drei Tage später, am 8. August, rief Ellen Bjarnebo bei der Polizei an und teilte mit, dass ihr Lebensgefährte verschwunden war. Ungefähr eine Woche später wurde das blaue Moped in jenem berüchtigten mückenreichen Sumpf fünf Kilometer westlich von Kerranshede, acht Kilometer von der Fischerhütte entfernt, gefunden, und danach verlor sich jede Spur.
    Das war alles. Man hatte Ellen Bjarnebo vernommen, und ein weiteres Dutzend Personen hatte Informationen beigesteuert, aber dieses Material befand sich in anderen Ordnern, und Inspektor Barbarotti beschloss, dass es für diesen Tag reichte.
    Er löschte das Licht, drehte sich auf die Seite und streckte den Arm zu dem leeren Platz neben sich aus. Er wollte sich zu gerne vorstellen, dass es dort noch einen Abdruck und etwas Verweilendes gab, und was ist diese Welt schon ohne unsere Vorstellungen von ihr?

6
    Der 2. Juni 1989
    Fahr vorbei! Halte nicht am Burmavägen!
    Fast so lange, wie sie denken konnte, hatte sie die Stimme gehört. Vielleicht war sie etwas, wozu auch andere Menschen Kontakt hatten; sie wusste es nicht, sie sprach so selten mit anderen Menschen. Außer ihr selbst saßen sechs weitere Fahrgäste im Bus, sie kannte vier von ihnen, drei ältere Männer und ein Mädchen im Teenageralter, hatte aber nie irgendjemanden von ihnen gegrüßt. Sie überlegte, dass dies typisch war, es lagen einige Meter zwischen allen, als wäre die Einsamkeit etwas Zerbrechliches, etwas, das man pflegen und behüten musste.
    Fahr vorbei ?
    Im Laufe der Jahre war sie immer mehr dazu übergegangen, diese Stimme mit einer existierenden zu identifizieren – einer, die sie ein einziges Mal vor langer Zeit gehört hatte, ja, so war es tatsächlich: Hausmeister Muti. Er war in der Hallinge-Schule, die sie in den ersten drei Schuljahren besucht hatte, der böse Onkel gewesen, und sie war damals wahrscheinlich das einzige Kind in der ganzen Stadt, das keine panische Angst vor ihm hatte. Was schon seltsam war, da sie ansonsten dafür bekannt war, vor praktisch allem Angst zu haben. Angst zu haben und anders zu sein.
    Auch Muti war anders, wenn auch auf eine andere Art; man erzählte sich, er sei eine Kreuzung aus einer Kobra und Adolf Hitler und habe mindestens ein Dutzend toter Kinder auf seinem Gewissen.
    Aber das stimmte natürlich nicht. Als sie Muti bei dieser einen einzigen Gelegenheit in seinem Büro von Angesicht zu Angesicht begegnete, hatte er nur einen Satz zu ihr gesagt: Du gehst jetzt zu Lehrerin Bolling und erzählst ihr, was es wirklich mit deinem Fahrrad und Annika Bengtsson auf sich hat . Und als sie anschließend seine Anweisung befolgte, hatte sich alles, genau wie er es ihr versprochen hatte, in Wohlgefallen aufgelöst. Nein, nicht versprochen, denn das hatte er gar nicht, aber es war genau so gekommen, wie sie es seiner Stimme angehört hatte.
    Ein Vierteljahrhundert später hatte sie vergessen, worum es bei dieser Fahrradgeschichte eigentlich gegangen war, aber die Stimme hatte sie nicht vergessen.
    Halte nicht am Burmavägen ?
    Dass sie anders war, hatte sie ebenso wenig vergessen, aber ihr Vater war auch sehr darauf bedacht gewesen, es ihr gründlich einzuschärfen, lange bevor Muti auf der Bildfläche erschien: Kein Zweifel, bei dem Mädel ist eine Schraube locker.
    Bei ihrer Mutter aber auch, fügte er regelmäßig hinzu. Das werde mütterlicherseits von Generation zu Generation weitergegeben.
    Sie seufzte und warf einen Blick aus dem schmutzverschmierten Busfenster. Stellte fest, dass sie noch einige Zeit fahren mussten – mindestens sieben oder acht Minuten. Lang genug, um für eine Weile in das trübe Wasser der Erinnerung einzutauchen. Ob man nun wollte oder nicht.

    Den Nachsatz hatte sie als Kind nie verstanden. Mütterlicherseits von Generation zu Generation? Was hieß das? Sie war mit ihrem Vater und ihrem sechs Jahre älteren Bruder Gunder aufgewachsen. Ihre Mutter war ertrunken, als sie selbst erst vier gewesen war. Ein Unfall, sagte man. Später hatte sie begriffen, dass das nicht stimmte. Ihre innere Stimme hatte es ihr gesagt, und wenn sie im Nachhinein daran zurückdachte, glaubte sie, diese Stimme damals zum ersten Mal gehört zu haben. Zumindest war es das erste Mal gewesen, dass sie die Stimme mit Muti verband, denn das musste kurz nach ihrer Begegnung gewesen sein.
    Deine Mutter hat sich
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