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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman
Autoren: H kan Nesser
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wurde von mehr als fünftausend Menschen bewohnt. Mehr als fünfzig verschiedene Nationalitäten lebten hier zusammen, das Wohngebiet war ein Stück Schweden, das einen bedeutenden Teil der demographischen Karte des Landes zu Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts abbildete. Er wusste, dass mindestens drei seiner Kollegen hier wohnten, und als er erneut an dem kleinen Einkaufszentrum vorbeikam, fragte er sich, warum er selbst sich darin wie ein Fremdkörper fühlte.
    Verwöhnt? Vielleicht.
    Andererseits kam ihm nicht nur Rocksta fremd vor. Sondern alles. Das Präsidium. Die Villa Pickford. Die ganze Stadt, in der er fünfunddreißig Jahre gelebt hatte.
    Die Menschen, die Zeit und die Gedanken.
    Im fahlen Licht der Abenddämmerung sahen seine Hände auf dem Lenkrad aus, als kämen sie von einem anderen Planeten. Ich muss bald einmal ein ernstes Wort mit unserem Herrgott reden, dachte Inspektor Barbarotti.
    Das dachte er nicht zum ersten Mal.
    Als er endlich ins Bett kam, war es fast Mitternacht. Seit Marianne nicht mehr bei ihnen war, hatten ihre Mahlzeiten die Tendenz, sich in die Länge zu ziehen. Obwohl es ihnen selten gelang, die Trauer und den Verlust in Worte zu fassen, war es wichtig, an dem großen Eichentisch zusammenzusitzen, sich an ihm zu versammeln, das war deutlich spürbar. Bei jedem von ihnen; keiner wollte als Erster die Gemeinschaft verlassen, was vielleicht auch etwas Peinigendes hatte, aber er fragte nie. Man deckte nicht mehr für sie. In der ersten Zeit hatten sie es noch so gehalten, hatten Teller, Glas und Besteck an ihrem Platz aufgelegt, aber Jenny hatte beschlossen, dass damit nach der Beerdigung Schluss sein musste.
    Sie beide hatten auch kurze Zeit im Erker zusammengesessen und so richtig getrauert, Jenny und er, die drei Jungen waren auf ihre Zimmer gegangen. Gegen elf hatte sie ihn jedoch umarmt und erklärt, sie müsse noch eine halbe Stunde Mathe üben, und anschließend hatte er am Computer gesessen und Rechnungen bezahlt, bis ihn die Müdigkeit übermannte und vor seinen Augen alle Ziffern und PIN -Codes verschwammen.
    Müde zu sein, war allerdings eine Sache, Schlaf zu finden, eine ganz andere, so war es nun einmal. Er entsann sich seines Entschlusses, das Gespräch mit dem Herrgott zu suchen, aber irgendetwas stand dem im Wege. So war es seit dem Unglück gewesen; er wusste, dass es an ihm lag, aber auch, dass Gott ein Gentleman war, der warten konnte. Vielleicht war es erstaunlich, dass er sich selbst, seinen Schock und seine Verzweiflung nicht augenblicklich in die Hände einer höheren, gütigen Macht gelegt hatte – vor allem, da er mittlerweile überzeugt war, dass es eine solche gab, und Marianne und er oft darüber gesprochen hatten. Loszulassen und auf Gott zu vertrauen. Nicht jede Bürde alleine zu tragen.
    Aber es hakte irgendwo. Irgendetwas war im Weg.
    Vielleicht wartete er auf ein Zeichen.
    Darauf, dass Marianne von sich hören lassen würde. In gewisser Weise hatte sie ihm versprochen, das zu tun, aber es war natürlich schwer zu sagen, ob man solche Versprechen auch tatsächlich halten konnte. Und wie der Prozess aussehen, welche Form er annehmen würde; am leichtesten vorstellbar wäre es sicherlich gewesen, wenn sie in seinen Träumen aufgetaucht wäre, zumindest hätte er es im umgekehrten Fall so gehalten, aber bis jetzt, gut drei Wochen nach ihrem Tod, hatte sie sich noch nicht in ihnen gezeigt.
    Was natürlich auch daran liegen mochte, dass er schlecht schlief und noch schlechter träumte. Wenn er morgens aufwachte, gab es keine Bilder mehr in seinem Kopf, so dass er sich nicht hundertprozentig sicher sein konnte. War sie im Laufe der Nacht bei ihm gewesen, hatte er es vielleicht nur vergessen? Schlicht und ergreifend.
    Das war inmitten der allgemeinen Trübsal ein beängstigender Gedanke – dass sie ihn zu erreichen versuchte, ohne dass er sich dessen bewusst wurde –, und er beschloss, ihm keinen Glauben zu schenken. Beschloss stattdessen, wachsam und aufmerksam zu sein und keine unangemessenen Forderungen zu stellen, weder an seine tote Frau noch an unseren Herrgott. Das wäre eine übermütige Taktik, zu der keine Veranlassung bestand.
    Nach diesen delikaten Entscheidungen und in Erwartung des schwer zu erreichenden Schlafs ging er stattdessen dazu über, das Material im Fall Arnold Morinder durchzusehen. Die Zusammenfassung hatte er bereits am Nachmittag im Präsidium gelesen, allerdings nur flüchtig, und wenn es wirklich so war, dass Asunander
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