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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman
Autoren: H kan Nesser
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umgebracht, nur dass du es weißt.
    Es geschah eines Abends unmittelbar vor dem Einschlafen. Sie musste acht oder neun Jahre alt gewesen sein. Und hatte nicht einschlafen können.
    Nur dass du es weißt?
    Als sie ihren Vater am nächsten Tag darauf ansprach, gab er ihr keine Antwort, aber sie hatte ihm angesehen, dass es zutraf. Ihre Mutter hatte nicht mehr leben wollen und ihren Wunsch in die Tat umgesetzt.
    Wie gesagt, eine Schraube locker. Mit Gunder hatte sie darüber nie gesprochen. Aber Gunder war immer der gleichen Meinung wie Vater gewesen, sodass es keine Rolle spielte.
    Sie hatte niemals Angst vor dieser Stimme gehabt, denn es war genau wie mit Muti: Es gab nichts Furcht Einflößendes an ihr. Nicht wirklich; sie war trocken und sachlich, im Ton ähnlich wie eine Bekanntmachung an die Bevölkerung im Radio. Und sie irrte sich selten, deutete die Lage, wie sie war, und erläuterte sie mit klarer und deutlicher Stimme ein einziges Mal. Die Botschaft war selten schwer zu verstehen. Manchmal bekam sie einen Rat, aber nicht immer, und wenn es geschah, empfand sie es nie so, als würde ihr Gehorsam abverlangt.
    Sie dachte, dass die Stimme darüber hinaus ganz deutlich von ihren normalen Gedanken getrennt und deshalb unverwechselbar war. Außerdem machte sie sich ziemlich rar; als sie ausgerechnet heute, an diesem frühen Juniabend, ertönte, hatte sie sich ihrer Erinnerung nach schon längere Zeit nicht mehr zu Wort gemeldet. Zwei Monate mindestens, Anfang des Frühjahrs, vielleicht sogar noch länger.
    Ein bisschen eigenartig war eventuell, dass sie sich an den Fahrer zu richten schien, den Mann, der den Bus fuhr. Ein großer kräftiger Bursche mit einem Rücken wie ein Scheunentor.
    Fahr vorbei !, sagte sie also. Halte heute nicht am Burmavägen. Lass sie stattdessen hier sitzen und sich ausruhen.
    Sie? Ja, es hatte tatsächlich so geklungen, als spräche die Stimme zu dem Busfahrer – aber sie sorgte sich um sie. Hier ging es um sie: Ellen Beatrice Helgesson. Fünfunddreißig Jahre alt, geborene Bjarnebo.
    Mitten im Leben, aber schon verloren.
    Es bedurfte keiner inneren Stimme, um dies festzuhalten. Fünfzehn Jahre Ehe hatten sie gelehrt, dass die Zeit der Erwartungen vorüber war. Falls das Leben eine Art Blütezeit haben sollte, war diese für sie ein überstandenes Stadium. Vielleicht auch ein übersprungenes.
    Aber Halte nicht! Ebenso gut hätte die Stimme sie immerhin auffordern können, nicht auszusteigen oder den Halteknopf nicht zu drücken, aber das tat sie eben nicht. Irgendwie überließ sie dem Fahrer die Verantwortung. Man konnte sich fragen, warum.
    Sie blinzelte müde und merkte, dass sie kurz vorm Einschlafen war. Was natürlich eine Lösung sein mochte. Ellen Helgesson war garantiert die Einzige, die an der Haltestelle Burmavägen aussteigen wollte. Kein anderer würde den Fahrer auffordern, dort zu halten, wenn sie zufällig einnickte. Außerdem war er neu, sie hatte ihn nie zuvor gesehen, sodass er mit Sicherheit keine Ahnung hatte, wo die verschiedenen Fahrgäste zu Hause waren.
    Sie sah auf die Uhr. Fast halb sechs. Eigentlich hätte es fast halb fünf sein müssen, aber sie hatte den Bus verpasst. Sie hatte für die Einkäufe länger gebraucht als gedacht, sowohl im Alkoholladen als auch im Supermarkt, was bedeutete, dass sie erst gegen halb acht gekocht haben würde. Dass Harry unter diesen Umständen hungrig und sauer sein würde, war unausweichlich. Gereizt und schlecht gelaunt, so sicher wie das Amen in der Kirche. Er würde zudem Zeit haben, noch vor dem Essen drei oder vier Bier zu trinken, was die Sache auch nicht besser machte. Der Ablauf des Abends lag vor ihr wie ein hoffnungslos enger Schafpferch und erwartete sie: Beim Essen würden sie sich eine der Weinflaschen teilen, die sie gekauft hatte, er vier Gläser, sie ein Glas. Nach dem Essen würde sie spülen; gegen neun wurde dann Billy ins Bett geschickt oder zumindest in sein Zimmer, woraufhin Mann und Frau in Gesellschaft von Zigaretten, Käseflips und einer weiteren Flasche Wein fernsehen würden – oder vielleicht auch zwei weiteren Bier und einem Drink, sie hatte im Alkoholladen an alles gedacht, und eventuell Creedence Clearwater Revival statt des Fernsehers. Je nach Lust und Laune und dem, was im Tagesverlauf vorgefallen war, kam es zu Variationen. Schließlich würde seine Hand sich ihren Oberschenkel hinauftasten, und dann war die Zeit bald reif für den Freitagsfick. In dem Punkt gab es keine Variationen.
    Wenn
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