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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
Autoren: Mary Mackey
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lebte und ihrer Mutter gehorchen mußte. Sie blickte mit wilden, verzweifelten Augen auf, und Keshna wußte, daß sie ihre Cousine endgültig für ihren Plan gewonnen hatte.
    »Wie kommen wir an diese Pferde?« stieß Luma zwischen grimmig zusammengebissenen Zähnen hervor.
    Keshna grinste und erhob sich. »Komm mit.« Sie zeigte auf die grüne Linie des fernen Ufers. »Der Händler, der sie uns verkaufen wird, ist dort drüben auf dem Festland, deshalb werden wir uns ein Boot leihen müssen, um zu ihm zu kommen.«
    Diesmal erhob Luma keinerlei Einwände gegen Keshnas Gebrauch des Wortes »leihen«.
     
    Während ihre Töchter zielstrebig einer Katastrophe entgegeneilten, saßen Marrah und Hiknak in Marrahs Haus und besprachen, wie man genau das verhindern könne. Das Inselhaus war kein geräumiges Mutterhaus wie dasjenige, das Marrah bewohnte, wenn sie in den Norden fuhr, um Shara zu regieren. Es war nur ein einfaches, aus einem Raum bestehendes quadratisches Gebäude mit Holzbalken, einem reetgedeckten Dach, Wänden aus mit Lehm beworfenem Flechtwerk, drei Schlafplattformen, einer Feuergrube aus Sand und einem Fußboden aus Spaltholz, der mit einer glatten Schicht braunem Ton überzogen war. Aber das Haus auf diese Weise zu beschreiben, vermittelte keinen Eindruck davon, wie es wirklich aussah, denn Marrah, Driknak und Luma hatten in gemeinschaftlicher Arbeit jeden einzelnen Zentimeter des Lehms bemalt, modelliert oder mit phantasievollen Motiven geschmückt, und zwar innen und außen. Deshalb bot sich Hiknak jetzt – als sie mit untergeschlagenen Beinen auf einer geflochtenen Matte auf einer der Schlafplattformen saß, einen Becher kühles Wasser trank und die Kirschen und das Brot verzehrte, die Marrah ihr vorgesetzt hatte, um sie auf Alzac willkommen zu heißen – der Blick auf ein Dutzend kunstvoller, weißgetünchter Nischen und eine phantastische dreidimensionale Vogelgöttin, die ihre leuchtendroten und gelben Schwingen über die Wand breitete.
    Während sie so dasaß und diese Dinge bewunderte, kam Hiknak auch in den Genuß von Marrahs Töpferwaren. Der Becher, aus dem sie trank, war so dünnwandig und vollkommen wie eine Eierschale, glänzend schwarz glasiert und mit goldenen Wirbeln und Spiralen bemalt, die wie Wolken oder auch wie schäumende Brecher aussahen, je nachdem, wie man ihn hielt. Marrah war eine meisterhafte Töpferin. Sie hatte Hiknak einmal anvertraut, daß ihre Töpferwaren deshalb so perfekt waren, weil sie jedes Stück, das nicht absolut makellos aus dem Brennofen kam, in tausend Stücke zerschlug.
    »Wie ich sehe, hast du deine Zeit während des Winters nicht vergeudet.« Hiknak hielt den Becher hoch, damit Marrah ihn ebenfalls bewundern konnte.
    Marrah lächelte, aber ihre Augen waren traurig. Hiknak konnte sich an eine Zeit erinnern, als Marrahs Augen von einem Leuchten erfüllt gewesen waren, doch seit Keru zum zweiten Mal verschwunden war, schien der Glanz in ihren Augen erloschen, als sei sie eines Großteils ihrer Lebensfreude beraubt worden. Graue Strähnen durchzogen ihr Haar, und um ihre Lippen lag ein Netz feiner Fältchen. Acht Jahre waren inzwischen vergangen, und sie trauerte noch immer um ihren Sohn – wer hätte ihr einen Vorwurf daraus machen können? Sie hatte nie eine Spur des Jungen gefunden. Mehr als ein Jahr lang hatte sie überall nach dem Kind gesucht, doch sie hatten niemals irgend etwas gefunden, was darauf deutete, daß der Junge noch lebte. Marrah klammerte sich zwar noch immer an die Hoffnung, daß die Nomaden ihn entführt hatten, aber Hiknak war insgeheim davon überzeugt, daß das arme Kind längst tot war, im Meer ertrunken oder von einem Löwen zerfleischt.
    Marrah nahm Hiknak den schwarz-goldenen Becher aus der Hand, inspizierte ihn kritisch und reichte ihn ihr wieder zurück. »Das ist eines von Lumas Stücken«, sagte sie. »Das Mädchen kann einfach nichts anfassen, ohne etwas Wunderschönes daraus zu machen. Früher hätte ich sie nach Kataka geschickt, wenn sie volljährig geworden wäre, um sie in die Geheimnisse der Dunklen Mutter einweihen zu lassen, aber heutzutage ist die Reise zu gefährlich. Laut Auskunft der Händler steht die Stadt noch, aber Nomadentrupps haben zwei Dörfer östlich der Stadt geplündert und in Schutt und Asche gelegt. Ich kann es unter diesen Umständen nicht riskieren, Luma aus den Gesegneten Ländern zu schicken.« In ihrer Stimme schwang mehr als nur eine Spur von Bedauern mit. Neunundzwanzig Generationen
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