Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
Autoren: Mary Mackey
Vom Netzwerk:
jedem Ohr. In früheren Jahren hatten sowohl Männer als auch Frauen an der gesamten Küste des Süßwassersees Tauschhandel betrieben; da die Nomaden jedoch nur mit Männern Geschäfte machen wollten, unternahmen immer weniger Frauen die Sommerreise von Shara nach Alzac, und die Männer, die kamen, sahen immer mehr aus wie Nomaden.
    Der Händler lächelte die beiden großen, drallen jungen Frauen an. Er wollte schon eine witzige Bemerkung über schöne junge Stuten machen, die nach Hengsten lechzten, als er plötzlich ihre Kinderhalsketten bemerkte und der Scherz auf seinen Lippen erstarb. »Was wollt ihr Mädchen denn mit Pferden?« erkundigte er sich höflich.
    »Das«, erwiderte Keshna, »ist unsere Sache.«
    »Ich kann Kindern keine Pferde verkaufen. Wer sind eure Mütter?«
    »Das ist ebenfalls unsere Sache«, erklärte Luma. Sie lernte schnell.
    Keshna zog die schwere Goldkette aus ihrem Lederbeutel und ließ sie vor seinem Gesicht baumeln. Die Pferde hüpften und tänzelten im Sonnenlicht, und die Augen des Händlers begannen vor Gier zu glitzern. Im Süden wurde Gold noch immer hauptsächlich für Tempelschmuck und Dekorationen verwendet, aber im Norden gab es nichts Wertvolleres.
    »Kein leichtes Unterfangen, Pferde so weit nach Süden zu bringen«, sagte er listig.
    »Ich habe nicht angenommen, daß es leicht sein würde«, erwiderte Keshna und schüttelte erneut die Kette, so daß es aussah, als bäumten sich die Pferde auf der Hinterhand auf.
    »Es würde sehr lange dauern, wenn es sich überhaupt machen ließe. Ich müßte einen Nomadenhäuptling finden, der bereit wäre, seine überzähligen Tiere zu verkaufen, und dann würde ich sie den ganzen weiten Weg bis hierher reiten müssen, weil es völlig ausgeschlossen ist, sie in ein Raspa oder einen Einbaum zu verladen. Es ist ein sehr langer, beschwerlicher Weg, und soweit ich weiß, ist noch kein Pferd und – Göttin sei Dank – kein Nomade jemals derart weit in den Süden vorgedrungen.
    Keshna zog ein goldenes Pferd von der Kette ab und drückte es ihm in die Hand.
    »Wie lange?« fragte sie.
    »Bis zum nächsten Sommer.«
    »Zu spät.« Sie zog ein weiteres Goldpferd ab und reichte es ihm. »Sorg dafür, daß du es bis zu diesem Winter schaffst, bevor die Tage anfangen, wieder länger zu werden.«
    »Du erwartest von mir, daß ich durch den Schnee reite!« stieß der Händler empört hervor. So weit südlich gab es gemeinhin nur sehr wenig Schnee, aber es würde eine anstrengende, kalte und gefährliche Reise werden, und er hatte allen Grund, sich davor zu fürchten.
    Keshna hielt noch einmal die Kette vor sein Gesicht. »Denk an das hier«, ermahnte sie ihn, »und halt dich warm.« Luma blickte sie bewundernd an. Keshna war eine ausgesprochen gerissene Händlerin; sie konnte feilschen, als ob sie dazu geboren wäre.
    Der Händler griff gierig nach dem Gold, doch Keshna zog es weg, so daß er nicht mehr dran kam. Sie drehte drei weitere Pferde von der Kette und ließ sie in seine ausgestreckte Hand fallen. »Bring uns diesen Winter zwei Pferde, dann bekommst du den Rest«, erklärte sie. »Aber achte darauf, daß es gesunde, kräftige Tiere sind. Ich trage vielleicht eine Kinderhalskette, aber glaub mir, ich erkenne ein gutes Pferd, wenn ich eines vor mir habe. Wir wollen Wallache oder zwei stämmige Stuten, aber keine Hengste, sie sind zu unberechenbar.«
    Er war natürlich einverstanden, genau wie Luma es vorausgesehen hatte. Wenn Keshna etwas wollte, dann bekam sie es auch. Immer. Das war einer der großen Vorteile – und eine der großen Gefahren –, wenn man ihre Freundin war.
     

2. KAPITEL
    Im zehnten Jahr nach der Invasion der Nomaden brachten Händler, die entlang der Westküste des Süßwassersees nach Norden reisten, höchst interessanten Klatsch mit: Auf der Insel Alzac hatte es einen Skandal gegeben, bei dem es um Sex, Ungehorsam und eine schiefgelaufene Volljährigkeitszeremonie ging. Luma, Tochter von Marrah, der Priesterkönigin von Shara, und Keshna, Tochter von Hiknak, der Nomadin, hatten im fortgeschrittenen Alter von fünfzehn Jahren endlich ihre erste Menstruation bekommen, waren feierlich in die Gemeinschaft der Frauen aufgenommen worden, und dann, tja dann ...
    An dieser Stelle unterbrachen die Händler gewöhnlich ihre Schilderung und warteten, bis man ihre Weinbecher nachgefüllt hatte. Sie verdienten sich ihre Mahlzeiten und einen warmen Platz zum Schlafen, indem sie Neuigkeiten verbreiteten, und wenn sie etwas so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher