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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
Autoren: Mary Mackey
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Vogelruf, veränderte ihn diesmal aber auf subtile Weise. Ein feindlicher Wachtposten hätte nichts anderes gehört als das neuerliche
Tschack
der Grasmücke, doch Keru hörte noch etwas anderes: Er hörte den unterschwelligen Klang heraus, den Changar ihn in den langen Monaten der Gefangenschaft in seinem Zelt zu hören gelehrt hatte. In Changars speziellem Grasmückenruf schwangen lockende Worte mit, die keiner außer Keru entziffern konnte.
Komm zu mir, lieber kleiner Häuptling,
riefen sie.
Komm zu mir, und ich werde dir den köstlichen Trank der Träume einflößen; komm zu Onkel Changar, und er wird die Freude schenken.
    Prompt öffnete Keru die Hand und ließ die Schnur seines Wolfdrachens los. Der Drachen stieg rasch in den Himmel und flog mit der Seebrise davon, bis er nichts weiter war als ein schwarzer Fleck auf dem Gesicht der Sonne. Voller Eifer machte Keru kehrt und rannte auf die Büsche zu, wo Changar und seine Gehilfen auf der Lauer lagen.
    Changar behielt ein wachsames Auge auf das blonde Mädchen, um zu sehen, ob sie merkte, daß ihr Freund davonlief, aber das milchgesichtige kleine Ding hatte sich abgewandt und schluchzte über seinem Spielzeug, das in mehrere Teile zerbrochen auf dem Boden lag.
    Es war geradezu lächerlich einfach, den Jungen zu entführen, wenn keiner dabei zuschaute.
     

ERSTES BUCH
Die gesegtneten Länder

Es ist leichter, einer Maus beizubringen, einen Wolf zu töten, als einer Frau beizubringen, wie ein Mann zu kämpfen.
     
    Sprichwort der Nomaden
     
    Was habt ihr unseren Töchtern angetan?
     
    Inschrift auf einem Becher im sharanischen Stil
    Viertes Jahrtausend v. Chr.
    (Möglicherweise die Nachbildung eines
    sehr viel älteren Originals)
    Eremitage, St. Petersburg, Rußland
     
     

1. KAPITEL
     
    Insel Alzac, acht Jahre später
     
    Luma und Keshna saßen auf einer grasbewachsenen Hügelkuppe und gruben ihre nackten Zehen in die Erde, während sie auf eine glatte, unbewegte Fläche grünlich-blauen Wassers hinausblickten. In der Ferne konnten sie den flachen, braunen Küstenstreifen des Festlands sehen und ein mit weißen Segeln bestücktes Raspa, das sich seinen Weg durch die Meerenge bahnte.
    Die beiden jungen Mädchen verfolgten die Fahrt des Bootes mit großem Interesse. Das Raspa drehte sich mit schwerfälliger Grazie, während die Händler wie wild ruderten, um es in die richtige Position zu manövrieren, damit sein weißes Leinensegel den Wind einfangen konnte, der fast in genau dem Moment gedreht hatte, als sie hinaus auf das offene Meer gekommen waren. Plötzlich blähte sich das Segel, das Boot schoß mit einem Ruck vorwärts, nahm Kurs Richtung Festland und zog einen Streifen weißer Gischt im Kielwasser hinter sich her.
    »Es fährt nach Norden«, stellte Keshna fest, »nach Shara hinauf und vielleicht sogar noch ein ganzes Stück weiter. Nach Norden, wo alle möglichen aufregenden Dinge passieren, während wir beide wie zwei Fünfjährige auf diesem blöden Felshaufen festsitzen.«
    Luma hütete sich, auf diese Bemerkung ihrer Cousine einzugehen. Wie gewöhnlich führte Keshna nichts Gutes im Schilde. Kaum war sie auf Alzac eingetroffen – nach einem tollkühnen Streich zur Strafe auf die Insel verbannt –, war sie auch schon losgerannt, um Luma zu suchen. Jetzt redete sie auf diese überzeugende Art auf sie ein, der Luma nicht widerstehen konnte. Wenn Keshna etwas wollte, dann konnte sie mit ihrem Charme alles erreichen. Luma wußte, sie würde wieder in Schwierigkeiten geraten, wenn sie noch länger zuhörte. Tatsächlich, dachte Luma, ist das Wort »Schwierigkeiten« ein viel zu schwacher Ausdruck für das, was Keshna wieder ausheckt. Wenn sie Keshnas verrückten Phan – wie immer er auch aussehen mochte – in die Tat umsetzten, würden sie zweifellos den Zorn ihrer Mütter auf sich ziehen. Aber genau das ist es, dachte Luma, was Keshnas haarsträubende Vorschläge immer so verlockend macht.
    Sie wandte sich von dem Anblick des rasch in der Ferne verschwindenden Bootes ab und blickte hinunter auf das Dorf, das sich am Fuße des Hügels in einem säuberlichen, halbmondförmigen Bogen ausdehnte, umgeben von einem Zaun aus blühenden Brombeerranken. Es gab Schmetterlingsgärten, Honigbienengärten und überall üppige Teppiche wildwachsender Blumen, ganz zu schweigen von den heißen Quellen, den drei Tempeln und einem wunderschönen Sandstrand, so weiß, daß er wie pulverisierter Alabaster aussah. Luma wußte, sie sollte dankbar dafür sein, daß
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