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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
Autoren: Mary Mackey
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kehrte mit der Schale mit Brotbrei zurück, und Luma und Kandar folgten ihr zum Fluß hinunter, wo sie Keshna, Urmnak und Chamnak um Keru versammelt fanden. Hrandshan und drei andere Krieger waren ebenfalls da und starrten ihren Häuptling mit Mienen an, die ausnahmsweise einmal nicht völlig ausdruckslos waren. Luma sah, daß die Männer glaubten, Keru würde sterben. Sie trauerten um ihn, vielleicht liebten sie ihn sogar.
    Luma beugte sich dicht zu Urmnak. »Wo sind die anderen beiden Krieger?« flüsterte sie ihr ins Ohr.
    »Sie sind weggegangen, um ein Grab auszuheben«, flüsterte Urmnak zurück. »Sie graben in einiger Entfernung vom Lager, damit er das Geräusch der Hacken nicht hört.«
    Luma zuckte zusammen. Vor ihr trieb Keru in dem dunklen Wasser. Er war bei Bewußtsein, erkannte aber niemanden. Er lag still in Keshnas Armen und blickte in den Nachthimmel hinauf, als habe er ihn nie zuvor gesehen.
    Marrah kniete sich neben ihn.
    »Keru«, sagte sie sanft. »Keru, mein Liebling, mach den Mund auf.«
    Er sah sie verständnislos an. Sie hätte ebensogut ein Fels, ein Vogel oder ein ferner Stern sein können.
    Sie unternahm keinen zweiten Versuch, ihn zu überreden. Statt dessen schob sie ihm ihre Finger zwischen die Lippen, zwang sie behutsam auseinander und schob ihm einen kleinen Bissen Brotbrei in den Mund.
    »Und jetzt schluck es herunter«, murmelte sie.
    Entweder hatte er sie verstanden, oder er war hungrig und der Geschmack des Essens war ihm vertraut. Er schluckte gehorsam.
    »Gut«, lobte sie ihn. Sie fütterte ihn mit dem eingeweichten Brot, Bissen für Bissen, wie ein kleines Kind. Als die Schale leer war, tauschte sie den Platz mit Keshna und hielt ihn in den Armen, sprach beruhigend auf ihn ein und streichelte sein nasses Haar. Nach einer Weile wies sie die Krieger an, Keru aus dem Wasser zu heben und ihn wieder in sein Zelt zu tragen.
     
    Das Brot half nicht. Den größten Teil der Nacht warf Keru sich im Fieberwahn auf seinem Lager hin und her, phantasierte von einem »roten Tunnel« und verlangte immer wieder nach Wasser. Wenn sie ihm den Wasserschlauch reichten, trank er manchmal so gierig, daß er sich verschluckte und sie ihm den Schlauch aus den Händen nehmen mußten, aber er bekam nie genug. Das Fieber stieg weiter an. Gegen Mitternacht hörte er auf zu sprechen und schloß die Augen. Marrah wollte glauben, daß er endlich eingeschlafen
    war, aber Luma spürte, wie er allmählich in eine andere Welt hinüberglitt. Keshna mußte es ebenfalls gefühlt habe, denn sie ging zu ihm und wollte seine Hand nehmen. Vielleicht glaubte sie, sie könnte ihn wieder in die Welt der Lebenden zurückziehen, doch Marrah hinderte sie daran.
    »Laß ihn schlafen«, sagte sie.
    »Er ist nicht ...«
    »Laß ihn schlafen«, wiederholte Marrah. Sie schickte alle aus dem Zelt. »Ich werde euch rufen, wenn es eine Veränderung gibt.«
    Die Nacht war unendlich lang, schwarz und mondlos. Im Wald riefen Eulen, und der Wind wehte in kräftigen Böen, so daß die Äste der Bäume sich bewegten und klapperten wie Knochen. Kurz vor Tagesanbruch wurde Keshna vom Schluchzen einer Frau geweckt. Es war ganz leise, aber es kam aus dem Zelt, und Keshna wußte augenblicklich, daß es Marrah war, die um Keru trauerte.
    Sie setzte sich auf, schluckte und fühlte, wie ein Stein ihren Magen füllte und ihr Herz zusammendrückte. Keru war tot. Marrah hatte ihn im letzten Augenblick ganz für sich allein gehabt; und sie, Keshna, die ihn ebenso innig wie jede Mutter geliebt hatte, hatte es versäumt, ihm Lebewohl zu sagen. Es spielte keine Rolle, daß er sie nicht erkannt hätte, sie hatte bei ihm sein wollen, wenn sein Ende nahte. Aber sie war nicht da gewesen, weil sie eingeschlafen war, und Marrah, die ihr versprochen hatte, sie zu wecken, wenn sich sein Zustand verschlechterte, hatte ihr nicht Bescheid gesagt.
    Sie könnte jetzt in das Zelt gehen, aber es wäre nicht dasselbe. Sie wollte Keru nicht tot sehen. Was hatte das für einen Sinn? Er war von ihr gegangen. Der Leichnam würde zwar Kerus Gesicht und seine Hände haben, aber er würde sie niemals so anlächeln wie Keru, sie berühren oder ihr sagen, was für eine erbärmliche Schützin sie war, wenn sie ein Reh verfehlt hatte.
    Keshna stand auf und ging durch das Lager, um das verzweifelte Schluchzen hinter sich zu lassen. Als sie zu den Pferden kam, nahm sie Windtänzer die Fußfesseln ab, schwang sich auf seinen Rücken und ritt in den Wald. Ein kurzes Stück den Pfad
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