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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
Autoren: Mary Mackey
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Rücken in etwas Nassem und Salzigem. Ihr gegenüber schwamm noch etwas: ein Wesen mit einem riesigen Kopf, das sich wie ein Fisch zusammenkrümmte.
    Wer bist du?
fragte Luma das Wesen.
    Dein Zwilling,
erwiderte es. Es drehte sich zu ihr um, und sie sah, daß es tatsächlich Keru war, allerdings nicht der Keru, den sie kannte. Dieser Keru war wie ein sechs Monate altes Kind, das zu früh geboren worden war, um zu überleben. Er streckte eine Hand aus, die ebenso winzig und faltig war wie ihre eigene, zog sie an sich und umarmte sie. Sie fühlte, wie seine Liebe sie einhüllte. Draußen, irgendwo ganz in der Nähe, war eine noch innnigere Liebe, die sie beide wie ein schützender Mantel umgab.
    Wo
sind wir?
    In Mutters Leib.
    Sie hielten einander umschlungen und wiegten sich sanft hin und her. Nach einer Weile schliefen sie ein.
    Wieder das Nichts. Wieder die unendliche Leere. Als ihr Körper ein zweites Mal auf sie herabstürzte, wachte sie auf und entdeckte, daß sie ein kleines Kind war. Sie und Keru saßen auf einer Decke in einem Flecken von Sonnenlicht und kauten an Brotkrusten. Neben ihnen saß ein riesiges, wunderschönes Tier, das wie ein Gott über ihnen aufragte. Das Tier hatte Beine wie Baumstämme, einen Kopf, so dick und rund wie der Mond, Pfoten von der Größe von Lumas Kopf, eine glänzende schwarze Schnauze und ein schwarzweißes Fell, das so dick und so lang war, daß Luma sich darin hätte verstecken können.
    Was ist das?
fragte Keru. Sie hatten jetzt ihre eigene Sprache, eine Sprache, die niemand sonst verstand. Manchmal redeten sie miteinander, aber meistens verständigten sie sich, indem sie einfach ihre Gedanken in den Kopf des anderen schickten.
    Ich weiß es nicht, aber es wird uns nichts tun.
    Plötzlich erinnerte Luma sich, daß man das Tier »Hund« nannte, aber als sie versuchte, es Keru zu sagen, fiel sie wieder in die Leere. Diesmal stürzte sie tiefer und immer tiefer, stürzte tagelang in bodenlose Finsternis, jahrelang.
    Als sie in die Welt zurückkehrte, hing sie an einem Seil. Es war silbern und hatte die Struktur von Schaum, durchsetzt mit kleinen Regenbögen, aber es war aus etwas Klebrigem gemacht, etwas, das sich unangenehm anfühlte. Da sie über einem bodenlosen Abgrund schaukelte, hatte sie keine andere Wahl, als sich weiter mit beiden Händen an dem Seil festzuhalten. Sie wartete lange Zeit darauf, daß jemand kommen würde, um sie in Sicherheit zu ziehen, aber niemand kam. Schließlich gab sie es auf und folgte dem Seil, kletterte langsam Hand für Hand daran hinunter. Nach einer Weile sah sie etwas Großes, Weißes, Rundes unter sich. Als sie näher kam, erkannte sie, daß sie auf ein riesiges Spinnennetz hinunterblickte. In der Mitte hatte das Netz einen Fehler: ein seltsames, unförmiges Bündel von Spinnfäden, die anders waren als der Rest.
    Sie wäre sofort wieder umgekehrt, wenn sie gekonnt hätte, weil sie noch immer genug Verstand besaß, um zu wissen, daß nicht alle Spinnen Webende Göttinnen waren; doch bevor sie sich wieder an dem Seil hinaufarbeiten konnte, zerriß es, und sie stürzte in die Mitte des Netzes. Sie fiel sehr langsam, und als sie das Netz berührte, klebte sie nicht daran fest, wie sie befürchtet hatte, sondern prallte davon ab und kam ganz leicht auf die Füße. Das Bündel aus Spinnwebfaden, das sie aus der Ferne gesehen hatte, war jetzt direkt neben ihr, und sie erkannte, daß etwas darin eingeschlossen war, das wild zappelte und versuchte, sich zu befreien. Unter großen Schwierigkeiten riß sie etwas von dem Gespinst heraus, und ein menschliches Gesicht kam zum Vorschein.
    Kerus Gesicht.
    Hol mich hier raus!
schrie Keru.
    Luma blickte auf ihre Hand hinunter und bemerkte, daß sie ein Messer hielt. Sie hatte keine Ahnung, wo das Messer hergekommen war, aber sie schlitzte damit den Spinnwebkokon auf, sorgsam darauf achtend, Keru nicht zu verletzen. Als sie ihn schließlich befreit hatte, schloß sie ihn in die Arme. Er lächelte sie an und öffnete die Augen so weit, daß sie in sie hineinfiel. Im Inneren seiner Augen war ein Feld mit Weizenstoppeln, das sich vom Wald bis zum Meer erstreckte. Darin waren Luma, Marrah, Stavan, Hiknak, Arang, Keshna, Driknak, die Stadt Shara, eine laue Brise und lachende Kinder, die Drachen steigen ließen.
     
    Wieder die unendliche Leere. Weitere Stürze in bodenlose Tiefen. Als Luma schließlich die Augen öffnete, stellte sie fest, daß sie wieder auf der Lichtung saß und Marrahs Hände hielt. Nichts
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