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Alte Meister: Komödie (German Edition)

Alte Meister: Komödie (German Edition)

Titel: Alte Meister: Komödie (German Edition)
Autoren: Thomas Bernhard
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dieser menschlichen und tatsächlich menschenunwürdigen Schwäche heraus, aus dieser Feigheit heraus, bin ich ihr nicht nachgestorben, sagte er, habe ich mich nicht umgebracht nach ihrem Tod, bin ich im Gegenteil, wie es mir jetzt scheint (so er gestern!), stark geworden, manchmal kommt mir in letzter Zeit vor, als wäre ich jetzt stärker denn je. Ich hänge jetzt noch mehr an meinem Leben, als vorher, ob Sie es glauben oder nicht, ich bin tatsächlich mit der größten Unbändigkeit angeklammert an das Leben, so er gestern. Ich will es nicht wahrhaben, aber ich lebe mit einer noch größeren Intensität als vor ihrem Tod. Freilich, ich habe über ein Jahr gebraucht, um überhaupt diesen Gedanken denken zu können, aber jetzt denke ich diesen Gedanken gänzlich ungeniert, so er. Was mich so außerordentlich bedrückt, ist ja doch die Tatsache, daß ein solcher aufnahmefähiger Mensch, wie meine Frau einer gewesen ist, mit dem ganzen ungeheuerlichen Wissen, das ich ihm vermittelt habe , gestorben ist, also dieses ungeheuerliche Wissen mit in den Tod genommen hat, das ist das Ungeheuerliche, noch viel ungeheuerlicher ist diese Ungeheuerlichkeit, als die Tatsache, daß sie tot ist, so er. Wir stecken und wir stopfen alles aus uns in einen solchen Menschen hinein und er verläßt uns, stirbt uns weg, für immer, so er. Und dasUnvermittelte kommt noch dazu, die Tatsache, daß wir den Tod dieses Menschen nicht vorhergesehen haben, nicht einen Moment habe ich den Tod meiner Frau vorausgesehen, so, als hätte sie ein ewiges Leben, habe ich sie betrachtet, nie an ihren Tod gedacht, sagte er, so, als lebte sie tatsächlich mitmeinem Wissen in die Unendlichkeit hinein als Unendlichkeit , so er. Tatsächlich ein überstürzter Tod, sagte er. Wir nehmen einen solchen Menschen für die Ewigkeit, das ist der Irrtum. Hätte ich gewußt, daß sie mir wegsterben wird, ich hätte völlig anders gehandelt, so wußte ich nicht, daß sie mir weg- und voraussterbenwird und handelte gänzlich unsinnig, so, als existierte sie unendlich in die Unendlichkeit hinein, während sie gar nicht für die Unendlichkeit gemacht war, sondern für die Endlichkeit, wie wir alle. Nur wenn wir einen Menschen mit einer so hemmungslosen Liebe lieben, wie ich meine Frau geliebt habe, glauben wir tatsächlich, er lebt ewig und in die Unendlichkeit hinein. Noch nie hat er, auf der Sitzbank im Bordone-Saal sitzend, den Hut aufgehabt, und genauso wie mich die Tatsache, daß er mich für heute ins Museum bestellt hat, beunruhigte, weil diese Tatsache tatsächlich die ungewöhnlichste ist, wie ich dachte, die ich mir denken kann, ist die Tatsache, daß er auf der Sitzbank im Bordone-Saal seinen Hut auf dem Kopf aufbehalten hat, die ungewöhnlichste, ganz abgesehen von einer Reihe anderer ungewöhnlicher Tatsachen in diesem Zusammenhang. Irrsigler war in den Bordone-Saal eingetreten und hatte, zu ihm hingehend, Reger etwas ins Ohr geflüstert, um gleich darauf wieder aus dem Bordone-Saal hinauszugehen. Die Mitteilung Irrsiglers hatte aber auf Reger, wenigstens von außen betrachtet, keinerlei Wirkung, Reger war nach der Mitteilung Irrsiglers genauso auf der Sitzbank sitzen geblieben, wie vor der Mitteilung Irrsiglers. Es beschäftigte mich aber doch, was Irrsigler zu Reger gesagt haben könnte. Ich gab aber den Gedanken, was Irrsigler zu Reger gesagt haben könnte, gleich wieder auf und beobachtete Reger, gleichzeitig hörte ich ihn zu mir sagen: die Leute gehen ins Kunsthistorische Museum, weil es sich gehört, aus keinem anderen Grund, sie reisen sogar aus Spanien und Portugal nach Wien und gehen ins Kunsthistorische Museum, um zu Hause in Spanien und Portugal sagen zu können, daß sie im Kunsthistorischen Museum in Wien gewesen sind, was doch lächerlich ist, denn das Kunsthistorische Museum ist nicht der Prado und es ist auch nicht das Museum in Lissabon, davon ist das Kunsthistorische Museum weit entfernt. Das Kunsthistorische Museum hat ja nicht einmal einen Goya und es hat nicht einmal einen El Greco. Ich sahReger und beobachtete ihn und hörte gleichzeitig, was er am Vortag zu mir gesagt hatte. Das Kunsthistorische Museum hat nicht einmal einen Goya, nicht einmaleinen El Greco hat es . Natürlich kann es auf den El Greco verzichten, denn El Greco ist kein wirklich großer, kein allererster Maler, sagte Reger, aber keinen Goya zu haben, ist für ein Museum wie das Kunsthistorische Museum geradezu tödlich. Keinen Goya, sagte er, das sieht den Habsburgern
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