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Alte Meister: Komödie (German Edition)

Alte Meister: Komödie (German Edition)

Titel: Alte Meister: Komödie (German Edition)
Autoren: Thomas Bernhard
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sagte Reger, denn er ist im Zustande des Erklärens eines Kunstwerkes niemals geschwätzig, er ist kein Schwätzer, nur der bescheidene Aufklärer und Berichterstatter, der dem Betrachter das Kunstwerk offen läßt, es ihm nicht durch Geschwätz verschließt. Das habe ich ihm, Irrsigler, im Laufe von Jahrzehnten beigebracht, wie Kunstwerke zu erklären sind als Betrachtung. Aber es ist natürlich alles, das Irrsigler sagt, von mir, sagte Reger dann, er hat naturgemäß nichts Eigenes, aber doch das Beste aus meinem Kopf, wenn auch angelernt, ist es doch von Fall zu Fall nützlich. Die sogenannte Bildende Kunst ist für einen Musikwissenschaftler, wie ich einer bin, von höchster Nützlichkeit, sagte Reger, je mehr ich mich auf die Musikwissenschaft konzentriert und tatsächlich je mehr ich mich in die Musikwissenschaft verrannt habe, desto eindringlicher beschäftigte ich mich mit der sogenannten Bildenden Kunst; umgekehrt denke ich, daß es für einen Maler beispielsweise von größtem Vorteil ist, wenn er sich der Musik widmet, also daß er, der sich vorgenommen hat, lebenslänglich zu malen, auch lebenslänglich musikalische Studien betreibt. Die Bildende Kunst ergänzt auf wunderbare Weise die musikalische und dieeine ist immer gut für die andere, sagte er. Ich könnte mir meine musikwissenschaftlichen Studien ohne die Auseinandersetzung mit der sogenannten Bildenden Kunst, insbesondere mit der Malerei, gar nicht vorstellen, sagte er. Ich betreibe mein Musikgeschäft deshalb so gut, weil ich mich gleichzeitig, und mit nicht weniger Enthusiasmus und mit nicht weniger Intensität überhaupt, mit der Malerei beschäftige. Nicht umsonst gehe ich seit über dreißig Jahren in das Kunsthistorische Museum. Andere gehen am Vormittag in ein Wirtshaus und trinken drei oder vier Gläser Bier, ich setze mich hier herein und betrachte den Tintoretto. Eine Verrücktheit vielleicht, wie Sie denken müssen, aber ich kann nicht anders. Dem einen ist es die liebste jahrzehntelange Gewohnheit, seine drei oder vier Gläser Bier in einer Vormittagskaschemme zu trinken, ich gehe ins Kunsthistorische Museum. Der eine nimmt gegen elf Uhr vormittag ein Vollbad, um über die Tageshürde zu kommen, ich gehe ins Kunsthistorische Museum. Wenn wir dann auch noch einen Irrsigler haben, sind wir gut bedient, sagte Reger. Tatsächlich habe ich von Kindheit an nichts mehr gehaßt, als die Museen, sagte er, ich bin von Natur aus ein Museumshasser, aber ich gehe wahrscheinlich gerade aus diesem Grunde seit über dreißig Jahren hier herein, ich leiste mir diese zweifellos geistesbedingte Absurdität. Wie Sie wissen, gehe ich ja nicht in den Bordone-Saal wegen Bordone, ja nicht einmal wegen Tintoretto, wenngleich ich den Weißbärtigen Mann doch für eines der großartigsten Gemälde, die je gemalt worden sind, halte, ich gehe wegen dieser Sitzbank in den Bordone-Saal und wegen des idealen Lichteinflusses auf mein Gemütsvermögen, tatsächlich wegen der idealen Temperaturverhältnisse gerade im Bordone-Saal, und wegen Irrsigler, der nur im Bordone-Saal der ideale Irrsigler ist. Und ich hielte es in Wahrheit auch niemals in der Nähe beispielsweise von Velázquez aus. Ganz abgesehen von Rigaud und Largillière, die ich wie die Pest meide. Hier im Bordone-Saal habe ich die beste Meditationsmöglichkeit,und sollte ich einmal Lust haben, hier auf der Bank etwas zu lesen, beispielsweise meinen geliebten Montaigne oder meinen vielleicht noch mehr geliebten Pascal oder meinen noch viel mehr geliebten Voltaire, wie Sie sehen, sind meine geliebten Schriftsteller alle Franzosen, nicht ein einziger Deutscher, kann ich es hier auf die angenehmste und auf die nützlichste Weise. Der Bordone-Saal ist mein Denkwie mein Lesezimmer. Und habe ich einmal Lust auf einen Schluck Wasser, so bringt mir Irrsigler ein Glas, ich brauche nicht einmal aufzustehen. Manchmal staunen die Leute, wenn sie sehen, daß ich hier, auf der Sitzbank sitzend, meinen Voltaire lese und dazu ein Glas klaren Wassers trinke, sie wundern sich, schütteln den Kopf und gehen wieder und es ist, als hielten sie mich für einen Verrückten mit besonderer staatlich erlaubter Narrenfreiheit. Zu Hause lese ich schon seit Jahren kein Buch mehr, hier im Bordone-Saal habe ich schon Hunderte Bücher gelesen, aber das heißt nicht, daß ich alle diese Bücher im Bordone-Saal aus gelesen hätte, ich habe niemals in meinem Leben ein einziges Buch aus gelesen, meine Art zu lesen ist die eines hochgradig
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