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Alte Meister: Komödie (German Edition)

Alte Meister: Komödie (German Edition)

Titel: Alte Meister: Komödie (German Edition)
Autoren: Thomas Bernhard
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Erst für halb zwölf Uhr mit Reger im Kunsthistorischen Museum verabredet, war ich schon um halb elf Uhr dort, um ihn, wie ich mir schon längere Zeit vorgenommen gehabt hatte, einmal von einem möglichst idealen Winkel aus ungestört beobachten zu können, schreibt Atzbacher. Da er im sogenannten Bordone-Saal gegenüber Tintorettos Weißbärtigem Mann seinen Vormittagsplatz hat, auf der samtbezogenen Sitzbank, auf welcher er mir gestern nach dem Erläutern der sogenannten Sturmsonate seinen Vortrag über die Kunst der Fuge fortgesetzt hat, von vor Bach bis nach Schumann, wie er es bezeichnet und dabei doch nur immer mehr von Mozart und nicht von Bach zu sprechen in Laune gewesen war, mußte ich im sogenannten Sebastiano-Saal Aufstellung nehmen; ich mußte also, ganz gegen meinen Geschmack, Tizian in Kauf nehmen, um Reger vor dem Weißbärtigen Mann von Tintoretto beobachten zu können und zwar stehend, was kein Nachteil war, denn ich stehe lieber, als daß ich sitze, vor allem in der Menschenbeobachtung und ich beobachte zeitlebens immer stehend besser, als sitzend, und da ich ja aus dem Sebastiano-Saal hinaus- in den Bordone-Saal hineinschauend schließlich unter Anwendung der äußersten Sehschärfe tatsächlich die ganze, nicht einmal durch die Sitzbankrückenlehne beeinträchtigte Seitenansicht Regers, der gestern ohne Zweifel durch den in der vorausgegangenen Nacht eingetretenen Wettersturz arg in Mitleidenschaft gezogen, die ganze Zeit seinen schwarzen Hut auf dem Kopf behalten hat, sehen konnte, also die ganze mir zugewandte linke Seite Regers, war mein Vorhaben, Reger einmal ungestört in Augenschein zu nehmen, geglückt. Da Reger (im Wintermantel) auf den zwischen seine Knie geklemmten Stock gestützt, wie mir schien, vollkommen auf den Anblick des Weißbärtigen Mannes konzentriert gewesen war, hatte ich keinerlei Angst zu haben, in meiner Betrachtung Regers, von diesem entdecktzu werden. Der Saaldiener Irrsigler (Jenö!), mit welchem Reger schon eine über dreißigjährige Bekanntschaft verbindet und mit welchem ich selbst (auch schon über zwanzig Jahre lang) immer einen guten Kontakt gehabt habe bis heute, war durch ein Handzeichen meinerseits darauf aufmerksam gemacht gewesen, daß ich einmal ungestört Reger beobachten wollte, und jedesmal, wenn Irrsigler auftauchte, mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks, tat er so, als wäre ich gar nicht da, wie er auch so tat, als wäre Reger gar nicht da, während er, Irrsigler, seinen Auftrag erfüllend, die Galeriebesucher, die ja, unverständlich an diesem kostenlosen Samstag, nicht zahlreich gewesen waren, in seinen gewohnten, für jeden, der ihn nicht kannte, unangenehmen Augenschein nahm. Irrsigler hat den lästigen Blick, den Aufseher in den Museen anwenden, um die ja, wie man weiß, mit allen Ungezogenheiten ausgestatteten Museumsbesucher einzuschüchtern; seine Art, unvermittelt und völlig lautlos um die Ecke gleich welchen Saales einzutreten, um Nachschau zu halten, ist tatsächlich widerwärtig für jeden, der ihn nicht kennt; in seiner grauen, schlecht geschneiderten, aber doch für die Ewigkeit bestimmten Uniform, die, von großen schwarzen Knöpfen zusammengehalten, an seinem mageren Körper herunterhängt wie von einem Kleiderständer, und mit seiner aus eben demselben grauen Stoff geschneiderten Schildkappe auf dem Kopf, erinnert er an die Aufseher in unseren Strafanstalten mehr, als an einen vom Staat eingestellten Hüter von Kunstwerken. Irrsigler ist, seit ich ihn kenne, immer gleich bleich, obwohl er nicht krank ist, und Reger bezeichnet ihn seit Jahrzehnten als einen Staatstoten, der seit fünfunddreißig Jahren im Kunsthistorischen Museum Dienstmacht . Reger, der seit über sechsunddreißig Jahren das Kunsthistorische Museum aufsucht, kennt Irrsigler vom ersten Tag seines Dienstantritts an und steht zu ihm in einem durchaus freundschaftlichen Verhältnis. Es bedurfte nur einer ganz kleinen Bestechungssumme, um mir die Sitzbankim Bordone-Saal für immer zu sichern , so Reger einmal vor Jahren. Reger ist mit Irrsigler ein Verhältnis eingegangen, das den beiden schon seit über dreißig Jahren zur Gewohnheit geworden ist. Will Reger, was nicht selten der Fall ist, in der Betrachtung des Weißbärtigen Mannes von Tintoretto allein sein, so sperrt Irrsigler ganz einfach den Bordone-Saal für Besucher, er stellt sich dann ganz einfach in den Eingang und läßt keinen passieren. Reger braucht nur sein Handzeichen zu geben und Irrsigler sperrt
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