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Alte Meister: Komödie (German Edition)

Alte Meister: Komödie (German Edition)

Titel: Alte Meister: Komödie (German Edition)
Autoren: Thomas Bernhard
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den Bordone-Saal, ja er scheut sich nicht, im Bordone-Saal stehende Besucher aus dem Bordone-Saal hinauszudrängen, weil Reger das wünscht. Irrsigler hat eine Tischlerlehre in Bruck an der Leitha absolviert, die Tischlerei aber schon vor der Freisprechung als Tischlergehilfe aufgegeben, um Polizist zu werden. Die Polizei hat Irrsigler aber abgewiesen wegen physischerSchwäche . Ein Onkel von ihm, Bruder seiner Mutter, der im Kunsthistorischen Museum Aufseher war schon seit dem Jahr vierundzwanzig, verschaffte ihm den Posten im Kunsthistorischen Museum, den unterbezahltesten, aber sichersten , wie Irrsigler sagt. Auch zur Polizei hatte Irrsigler ja nur gehen wollen, weil ihm mit dem Beruf als Polizist das Kleiderproblem als gelöst erschien. Lebenslänglich in dasselbe Gewand zu schlüpfen und dieses lebenslängliche Gewand nicht einmal selber bezahlen zu müssen, weil es der Staat zur Verfügung stellt, sei ihm als ein Ideal erschienen, so habe auch der Onkel, der ihn ins Kunsthistorische Museum gebracht habe, gedacht und es sei, dieses Ideal betreffend, ja auch kein Unterschied, ob er bei der Polizei oder im Kunsthistorischen Museum angestellt sei, die Polizei bezahle allerdings mehr, das Kunsthistorische Museum weniger, aber der Dienst im Kunsthistorischen Museum sei dafür auch nicht mit dem Polizeidienst zu vergleichen, einen verantwortungsvolleren, gleichzeitig aber auch leichterenDienst als im Kunsthistorischen Museum könne er, Irrsigler, sich nicht vorstellen. Der Polizeidienst sei ja tagtäglich lebensgefährlich, so Irrsigler, der Dienst imKunsthistorischen Museum nicht. Wegen der Eintönigkeit in seinem Beruf solle man sich keine Gedanken machen, er liebe diese Eintönigkeit. Im Tag gehe er an die vierzig bis fünfzig Kilometer, das sei seiner Gesundheit zuträglicher, als beispielsweise der Polizeidienst, wo die Hauptbeschäftigung darin bestehe, auf einem harten Kanzleisessel zu sitzen, lebenslänglich. Er beschatte lieber Museumsbesucherals normale Menschen , denn Museumsbesucher seien immerhin höhergestellte Menschen, die einen Kunstsinn haben . Er selbst habe sich mit der Zeit einen solchen Kunstsinn angeeignet, er wäre jederzeit imstande, eine Führung durch das Kunsthistorische Museum zu machen, jedenfalls durch die Gemäldegalerie, sagt er, aber das habe er nicht notwendig. Die Leute nehmen ja gar nicht auf, was ihnen gesagt wird, sagt er. Seit Jahrzehnten wird vonden Museumsführern immer dasselbe gesagt und natürlich sehr viel Unsinn, wie Herr Reger sagt , sagt Irrsigler zu mir. Die Kunsthistorikerüberschütten die Besucher nur mit ihrem Geschwätz , sagt Irrsigler, der mit der Zeit viele, wenn nicht gar alle Sätze Regers wortwörtlich übernommen hat. Irrsigler ist das Sprachrohr Regers, fast alles, das Irrsigler sagt, hat Reger gesagt, seit über dreißig Jahren redet Irrsigler das, was Reger gesagt hat. Wenn ich genau hinhöre, höre ich Reger durch Irrsigler sprechen. Wenn wir den Führern zuhören, hören wir doch nur immer das Kunstgeschwätz, dasuns auf die Nerven geht, das unerträgliche Kunstgeschwätz der Kunsthistoriker , sagt Irrsigler, weil es Reger so oft sagt. Alle diese Gemälde sindgroßartig, aber kein einziges ist vollkommen , so Irrsigler nach Reger. Die Leute gehen ja nur in das Museum, weil ihnen gesagt worden ist, daß es ein Kulturmensch aufzusuchen hat, nicht aus Interesse, die Leute haben kein Interesse an der Kunst, jedenfalls neunundneunzig Prozent der Menschheit hat keinerlei Interesse an Kunst, so Irrsigler wortwörtlich nach Reger. Er, Irrsigler, habe eine schwere Kindheit gehabt, eine krebskranke, schon mit sechsundvierzig Jahren verstorbene Mutter,einen untreuen, lebenslänglich betrunkenen Vater. Und Bruck an der Leitha ist auch so einhäßlicher Ort wie die meisten burgenländischen Orte . Wer kann, geht aus dem Burgenland weg, sagt Irrsigler, aber die meisten können nicht, sie sind zu lebenslänglichem Burgenland verurteilt, was wenigstens so fürchterlich ist, wie zu lebenslänglicher Kerkerhaft in Stein an der Donau. Die Burgenländer sind Sträflinge, sagt Irrsigler, ihr Heimatland ist eine Strafanstalt. Sie selbst reden sich ein, sie hätten eine recht schöne Heimat, aber in Wirklichkeit ist das Burgenland fad und häßlich. Im Winter ersticken die Burgenländer im Schnee und im Sommer werden sie von den Gelsen aufgefressen. Und im Frühling und im Herbst waten die Burgenländer nur in ihrem eigenen Schmutz. In ganz Europa gibt es kein ärmeres und
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