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Alte Meister: Komödie (German Edition)

Alte Meister: Komödie (German Edition)

Titel: Alte Meister: Komödie (German Edition)
Autoren: Thomas Bernhard
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Anspruchslosesten, ich selbst habe ja in meiner Jugend mit Burgenländern auf verschiedenen Baustellen gearbeitet und mit Burgenländern in verschiedenen Baubaracken gehaust und weiß, wie anspruchslos die Burgenländer sind, sie brauchen nur das Allernotwendigste und sie sparen sich bis zum Monatsende tatsächlich achtzig Prozent ihres Lohnes und noch mehr. Während ich Reger in Augenschein nahm und auch tatsächlich eingehend beobachtete, so, wie ich ihn noch nie vorher beobachtet habe, sah ich Irrsigler vor einer Woche mit mir im Battoni-Saal stehen, ihm zuhörend. Der Mann einer seiner Urgroßmütter stamme aus Tirol, daher der Name Irrsigler. Er habe zwei Schwestern gehabt, die jüngere sei erst in den Sechzigerjahren mit einem Friseurgehilfen aus Mattersburg nach Amerika ausgewandert und dort an Heimweh gestorben, mit fünfunddreißig Jahren. Drei Brüder habe er, alle lebtenheute im Burgenland als Hilfsarbeiter. Zwei von ihnen seien, wie er, nach Wien, um in den Polizeidienst einzutreten, waren aber nicht angenommen worden. Und für den Museumsdienst sei ja eine gewisse Intelligenz unbedingt erforderlich . Von Reger habe er viel gelernt. Es gebe Leute, die sagten, Reger sei verrückt, denn nur ein Verrückter könne über Jahrzehnte jeden zweiten Tag, außer Montag, in die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums gehen, aber das glaube er nicht, Herr Reger ist ein gescheiter, gebildeter Mann , so Irrsigler. Ja, hatte ich zu Irrsigler gesagt, Herr Reger ist nicht nur ein gescheiter und gebildeter, sondern auch ein berühmter Mann, immerhin hat er in Leipzig und Wien Musik studiert und Musikkritiken für die Times geschrieben und schreibt noch heute für die Times, sagte ich. Kein gewöhnlicher Schreiber, sagte ich, kein Schwätzer, ein Musikwissenschaftler im eigentlichsten Sinne des Wortes und mit dem ganzen Ernst einer großen Persönlichkeit. Reger ist mit allen diesen musikfeuilletonistischen Schwätzern, wie sie hier tagtäglich in den Tageszeitungen ihren Geschwätzschmutz ausbreiten, nicht zu vergleichen. Reger ist tatsächlich Philosoph, habe ich zu Irrsigler gesagt, Philosoph in aller Deutlichkeit dieses Begriffs. Seit über dreißig Jahren schreibt Reger seine Kritiken für die Times, diese kleinen musikphilosophischen Aufsätze, die eines Tages sicher in einem Buch gesammelt erscheinen werden. Dieser Aufenthalt im Kunsthistorischen Museum ist zweifellos eine der Voraussetzungen dafür, daß Reger so für die Times schreiben kann, wie er für die Times schreibt, sagte ich zu Irrsigler, ganz gleich, ob mich nun Irrsigler verstanden hat oder nicht, wahrscheinlich hat mich Irrsigler gar nicht verstanden, dachte ich und denke ich genauso jetzt. Davon, daß Reger für die Times seine Musikkritiken schreibt, weiß in Österreich niemand, höchstens ein paar Leute wissen davon, sagte ich zu Irrsigler. Ich könnte auch sagen, Reger ist ein Privatphilosoph , sagte ich zu Irrsigler, ungeachtet der Tatsache, daß es eine Dummheit gewesenist, das zu Irrsigler zu sagen. Im Kunsthistorischen Museum findet Reger das, das er sonst nirgends findet, sagte ich zu Irrsigler, alles Wichtige, alles Nützliche für sein Denken und für seine Arbeit. Die Leute mögen Regers Verhalten als verrückt bezeichnen, das ist es nicht, sagte ich zu Irrsigler, hier in Wien und in Österreich nimmt man Reger nicht wahr, sagte ich zu Irrsigler, aber in London und in England und selbst in den Vereinigten Staaten weiß man, wer Reger ist, um was für eine Kapazität es sich bei Reger handelt, sagte ich zu Irrsigler. Und vergessen Sie nicht die ideale Temperatur von achtzehn Grad Celsius, die hier im Kunsthistorischen Museum ganzjährig herrscht, sagte ich auch wieder zu Irrsigler. Irrsigler nickte nur mit dem Kopf. Reger ist eine in der ganzen musikwissenschaftlichen Welt hochgeachtete Persönlichkeit, sagte ich zu Irrsigler gestern, nur hier, in seinem Heimatland, will niemand etwas davon wissen, im Gegenteil, hier, wo er zu Hause ist, wird Reger, der doch alle andern in seinem Fach weit hinter sich gelassen hat, diese ganze widerwärtige provinzielle Stümperhaftigkeit, gehaßt, nichts weniger als gehaßt wird Reger in seiner Heimat Österreich, sagte ich zu Irrsigler. Ein Genie wie Reger wird hier gehaßt, sagte ich zu Irrsigler ohne Rücksicht darauf, daß Irrsigler gar nicht verstanden hatte, was ich damit meinte, indem ich zu ihm gesagt habe, ein Genie wie Reger wird hier gehaßt und ohne Rücksicht darauf, ob es tatsächlich
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