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Alte Meister: Komödie (German Edition)

Alte Meister: Komödie (German Edition)

Titel: Alte Meister: Komödie (German Edition)
Autoren: Thomas Bernhard
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kein schmutzigeres Land, so Irrsigler. Die Wiener reden den Burgenländern immer ein, daß das Burgenland ein schönes Land sei, denn die Wiener sind in den burgenländischen Schmutz und in den burgenländischen Stumpfsinn, weil sie diesen burgenländischen Schmutz und diesen burgenländischen Stumpfsinn als romantisch empfinden, weil sie auf ihre wienerische Weise pervers sind, verliebt. Das Burgenland hat ja auch außer dem Herrn Haydn, wie Herr Reger sagt , nichts hervorgebracht, so Irrsigler. Ich komme aus dem Burgenland, heißt ja doch nichts anderes, als ich komme aus der Strafanstalt Österreichs. Oder aus dem Irrenhaus Österreichs, so Irrsigler. Die Burgenländer gehen nach Wien wie in die Kirche , sagte er. Der größte Wunsch des Burgenländers ist, in die Wiener Polizei einzutreten, sagte er vor ein paar Tagen, mir ist es nicht geglückt, weil ich zu schwach gewesen war, wegen physischerSchwäche . Aber ich bin immerhin Aufseher im Kunsthistorischen Museum und ebenso Staatsbeamter. Am Abend, nach sechs Uhr, sagte er, sperre ich keine Verbrecher ein, sondern Kunstwerke, ich sperre den Rubens ein und den Bellotto. Seinen Onkel, der schon gleich nach dem Ersten Weltkrieg in die Dienste des Kunsthistorischen Museums eingetretensei, hätten alle in seiner Familie beneidet. Wenn sie ihn alle paar Jahre einmal im Kunsthistorischen Museum besuchten, an den kostenlosen Samstagen oder Sonntagen, wären sie ihm immer vollkommen eingeschüchtert durch die Säle mit dengroßen Meistern gefolgt und hätten fortwährend seine Uniform bewundert. Natürlich sei sein Onkel auch schon bald Oberaufseher gewesen und habe den kleinen Messingstern auf dem Revers seiner Uniform getragen, so Irrsigler. Vor Hochachtung und Bewunderung hätten sie, wenn er sie durch die Säle geführt habe, nichts von dem, das er zu ihnen gesagt habe, verstanden. Es hätte auch keinen Sinn gehabt, ihnen den Veronese zu erklären, so Irrsigler vor ein paar Tagen. Die Kinder meiner Schwester haben meine weichen Schuhe bestaunt, so Irrsigler, meine Schwester ist vor dem Reni stehen geblieben, ausgerechnet vor diesem geschmacklosesten aller hier ausgestellten Maler. Reger haßt Reni, also haßt auch Irrsigler Reni. Irrsigler hat schon eine sehr hohe Meisterschaft im Aneignen der Regerschen Sätze erreicht, er spricht sie auch schon beinahe perfekt in dem charakteristischen Regerton, denke ich. Meine Schwester besucht mich und nicht das Museum , sagte Irrsigler. Meine Schwester hat für Kunst überhaupt nichts übrig. Ihre Kinder aber staunen über alles, das sie sehen, wenn ich sie durch die Säle führe. Vor dem Velázquez bleiben sie stehen und wollen nicht mehr weggehen, sagte Irrsigler. Herr Reger hat mich und meine Familie einmal in den Prater eingeladen, sagte Irrsigler, der großzügige Herr Reger, an einemSonntagabend. Wie seine Frau noch gelebt hat , sagte Irrsigler. Ich stand da und beobachtete Reger, der noch immer in den Anblick des WeißbärtigenMannes von Tintoretto vertieft war, wie gesagt wird, und sah gleichzeitig Irrsigler, der ja gar nicht im Bordone-Saal war, wie er mir aus seiner Lebensgeschichte berichtet, also die Bilder mit Irrsigler aus der vergangenen Woche gleichzeitig mit Reger, der auf der Samtsitzbank saß und mich naturgemäß noch nicht bemerkt hatte. Irrsigler hat gesagt, schon alskleines Kind sei sein höchster Wunsch gewesen, der Wiener Polizei beizutreten, Wachmann zu sein. Er habe nie einen anderen Berufswunsch gehabt. Als man ihm, er war damals dreiundzwanzig, in der Rossauerkaserne physische Schwäche bescheinigte, sei ihm tatsächlich eine Welt zusammengebrochen . In dem Zustand der äußersten Ausweglosigkeit habe ihm aber dann sein Onkel die Aufseherstelle im Kunsthistorischen Museum verschafft. Er sei nur mit einer kleinen abgewetzten Handtasche nach Wien gekommen in die Wohnung seines Onkels, der ihn vier Wochen bei sich hatte wohnen lassen, dann sei er, Irrsigler, in ein Untermietzimmer auf der Mölkerbastei gezogen. In diesem Untermietzimmer habe er zwölf Jahre gewohnt. Er habe die ersten Jahre von Wien gar nichts gesehen, er sei schon am frühen Morgen gegen sieben ins Kunsthistorische Museum und am Abend, nach sechs, wieder nach Hause, seine Mittagsmahlzeit habe in allen diesen Jahren immer nur aus einem Wurst- oder Käsebrot bestanden, das er mit einem Glas Wasser aus der Wasserleitung in einem kleinen Ankleideraum hinter der öffentlichen Garderobe gegessen habe. Die Burgenländer sind die
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