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Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil

Titel: Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil
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eine billige Magd gefühlt, im Dorf habe es geheißen, TheresiaGeiger sei eine der drei am schwersten arbeitenden Frauen im Dorf, sie hätte gleich in der Schmiede am Amboss bleiben können und Eisen hämmern, bis es glüht. Die Landwirtschaft, und ständig Kleinkinder, die mit frischen Stoffwindeln versorgt werden mussten, jeden Abend sei sie komplett nass gewesen vom Ausschlagen der gewaschenen Windeln. Manchmal habe sie sich tagsüber auf das Kanapee gelegt und zu einem der Kinder gesagt, es solle sie in fünf Minuten wecken. Die Kinder ließen die Mutter schlafen.
    Wenn sie gemeinsam zum Obstauflesen gegangen sind, habe die Mam vor Beginn der Arbeit gesagt:
    »Gott segne unsere Arbeit.«
    Daran müsse Irene, die jüngste Schwester meines Vaters, auch heute oft denken, wenn sie selber aufs Feld gehe.
    Auf dem Feld stand während der Arbeit fast zwei Jahrzehnte lang eine große Obstkiste mit einem Kleinkind darin. Die Kinder lernten das Gehen in Obstkisten. In die Kisten waren die Initialen des Dätt eingebrannt, A. G. Das Brenneisen hatte der Schwiegervater gemacht, der Schmied. Brenneisen galten als eine seiner Spezialitäten, Buchstaben und Zeichen. Er verkaufte sie bis nach Ungarn und bis nach Paris und blieb trotzdem arm, oben auf der Halde beim Schloss, von wo aus man ins Appenzell hineinsieht und über den Bodensee hinüber nach Lindau und bei gutem Wetter bis Friedrichshafen.
    Theresia Geiger habe zu ihren Kindern gesagt:
    »Kommt nicht zu spät nach Hause, und wenn doch, dann bitte leise, damit ich nicht aufwache.«
    Der Tagesablauf war immer derselbe, es gab kaum Abweichungen. In der Früh wurden die Kinder von der Mam geweckt, mehrmals, bis endlich alle auf waren. Oft mussten die Kinder in die Schule rennen, weil sie knapp dran waren. Das Schuhwerk war schlecht, im Winter blieb der Schnee an den Holzsohlen kleben, man musste ständig die Stöcklein abschlagen. Die Holzschuhe walkten den Schnee, der oft um den Nikolaustag fiel und bis zum Frühling liegen blieb.
    Zum Frühstück gab es für die Kinder in einem Suppenteller warme Milch und Riebel zum Eintunken. Nur die Mam und der Dätt bekamen Kaffee. Nur der Dätt bekam Honig, außer am Sonntag, da gab es Honig für alle. Nach dem Essen wurde für die armen Seelen gebetet.
    Die Kinder wurden nicht streng erzogen, sondern streng gehalten , so drückte man sich aus. Auch die Kühe wurden nicht gehütet, sondern gehalten . Das Halten der Kühe war Aufgabe der Kinder, das Halten der Kinder war Aufgabe der Eltern.
    Nach heutigen Maßstäben waren die Kinder schlecht ernährt. Sie bekamen fast kein Gemüse, wenig Fleisch, viel Milch und Brot und Schmalz. Das erste Obst im Jahr wurde sehnsüchtig erwartet, es konnte passieren, dass eines der Kinder um fünf in der Früh aufwachte und sich hinausschlich, um zu schauen, ob die ersten Heubirnen heruntergefallen waren. Die Kinder legten Nester an mit dem, was sie ergattert hatten, damit sie das Gefundene nicht mit den Geschwistern teilen mussten.
    Die Entbehrungen dieser Kindheit hielten sich in Grenzen,gemessen an den damaligen Verhältnissen. Stärker ins Gewicht fiel, dass Zuneigung und Aufmerksamkeit der Eltern knappe Güter waren. Aufgrund der großen Kinderzahl überstieg die Nachfrage das Angebot bei weitem. Alles musste vielfach geteilt werden.
    Sowie ein Kind ein Werkzeug halten konnte, musste es helfen. Die Kleinen kümmerten sich um die noch kleineren. Beim Pferd, das vom Nachbarn geliehen wurde, mussten die Rossbremsen vertrieben werden, damit es nicht durchging. Die Kinder wurden ins Ried zum Eichelsammeln geschickt für das Schwein im Stall – Josef, der mittlere der sieben Söhne, wurde einmal bewusstlos unter einer Eiche gefunden, weil er vom Baum gefallen war. Aus dem gemähten Gras suchten die Kinder die Pflanzen heraus, die von Kühen nicht gefressen werden, Übrigstengel und Schmalzbläckter. Mit dem Handwagen fuhren die Kinder die Äpfel auf den Markt nach Bregenz. Später kam die Mam mit dem Fahrrad nach. Auf dem Heimweg haben mein Vater und der um ein Jahr jüngere Paul viel geblödelt, abwechselnd durfte einer im Handwagen aufsitzen, der andere machte das Pferd. Die genagelten Holzschuhe klapperten auf dem Pflaster. Damals gehörten die Straßen noch den Kindern.
    Die Redewendung, zu einer Arbeit eingespannt werden , war wörtlich zu verstehen. Die Buben zogen den Heuwagen und ernteten den Spott der Mädchen:
    »Mit Eseln kann man Rösser sparen!«
    Es gab Bubenarbeit und Mädchenarbeit.
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