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Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil

Titel: Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil
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Die Buben mussten in den Stall, die Mädchen standen um fünf in derFrüh auf und gingen vor der Schule auf den Acker zum Jäten.
    Einmal hat ein Sturm das Maisfeld komplett flachgelegt. Die Kinder waren mit Pfählen und Draht einen ganzen Tag lang damit beschäftigt, alle Maispflanzen hochzubinden. Auf den Mais war die Familie angewiesen für den täglichen Riebel.
    Man war weitgehend Selbstversorger, bis auf das Brot, das Mehl, den Zucker und das Salz. Gekauft wurde nur, was unbedingt nötig war, das Klopapier schnitt man aus alten Zeitungen, handbreite Streifen, auch dies eine Arbeit für Kinder. Mit einer großen Schere saß eines der Kinder am Stubentisch und peilte gerade Schnitte durchs Papier.
    Zum Anheizen wurde ebenfalls Papier benötigt. Abfall entstand so gut wie keiner. Es gab einen Misthaufen, ein Schwein und einen Ofen.
    Mein Vater wäre gerne ein Leben lang unabhängig geblieben, das war Teil der fest in ihm verankerten bäuerlichen Prägung, das hatte sich so für ihn bewährt, zum Missfallen seiner Frau und seiner Kinder, die in eine Welt des Konsums und des Wegwerfens hineinwuchsen. Die Fähigkeit, zu reparieren und weiterzuverwerten, und die von den Eltern übernommene Einstellung, die Befriedigung von Bedürfnissen aufzuschieben oder gewisse Bedürfnisse gar nicht erst zu haben, gehören zu einer Kultur, die hierzulande untergeht.
    Im Keller des großen Rheintalhauses stand ein Brennkessel. In meiner Kindheit saß ich dort auf einem umgedrehten Eimer oder einem Holzklotz und schaute beimSchnapsbrennen zu. Ich liebte das Knistern des Feuers im Ofen und das Plätschern des Alkoholfadens, der in die großen bauchigen Flaschen fiel – den aromatischen Schnapsgeruch in dem überheizten Raum und die nach harter Arbeit riechenden Männer. Und draußen in der Grube der auskühlende Trester und die Dampfschwaden in den Ästen des winterlich kahlen Birnbaums.
    Für meinen Vater und seine Geschwister hatte das Schnapsbrennen den Nebeneffekt, dass es an diesen Tagen heißes Wasser gab. Es wurde in einen Zuber gleich nebenan in die Werkstatt geleitet, wo hinter Maschendraht auch der Hühnerstall war. Szenen wie aus einem Italo-Western: Der Schnapsgeruch, das Gackern der Hühner, die nackten Bauernkinder im warmen Wasser – das gab es etwa zehnmal im Jahr. Zu den anderen Zeiten wuschen sich alle in der Küche am einzigen Waschbecken des Hauses: kalt.
    Mein Vater bewahrte sich eine zähe Anhänglichkeit für die Lebensweise seiner Kindheit. Auch später wusch er sich vor allem am Waschbecken. Tief über das Becken gebeugt, laut prustend und stöhnend, klatschte er sich Wasser ins Gesicht, dass es meterweit spritzte. Den Waschlappen bohrte er sich mit dem Zeigefinger so tief in die Ohren und rüttelte den Finger so heftig, dass es vom bloßen Zuschauen wehtat.
    Das ist die karge Ausbeute, die mir der Überlieferungszufall beschert hat – ein paar liegengebliebene Halme auf dem abgeheuten Feld.
     
    1938 kam der Anschluss. Die Familie gehörte zu den erklärten Christlichsozialen im Dorf. Der Dätt und die Mam begriffen ihren Katholizismus nicht als reine Sonntagsangelegenheit. Zudem hatte die Familie wirtschaftlich keine Eigeninteressen, denen die neue politische Situation genutzt hätte. Dank der kleinen Landwirtschaft und der Anstellung des Dätt in der sich gut entwickelnden Stromindustrie war die Familie gegen Krisen weitgehend gefeit.
    »Waffen werden vom Teufel geladen«, habe die Mam gesagt. Und der Dätt, der ein sturer Hund war, kehrte im Umgang mit seinem Schwager, dem Nazibürgermeister, zum Sie zurück.
    Politisiert wurde in der Familie nicht. Beim Essen hatten alle den Mund voll, und zum Sitzenbleiben danach war keine Zeit, alles zackzack, Essen runter und zurück an die Arbeit. Dann wurde Emil, der älteste Sohn, aufgefordert, endlich der Hitlerjugend beizutreten, er weigerte sich mit dem Argument, er sei beim Roten Kreuz. Als ihm angedroht wurde, er werde von der Schule fliegen, wenn er nicht umdenke, ließ sich der Dätt auf die Konfrontation ein. Das Ergebnis war, dass Emil an der Wirtschaftsoberschule bleiben durfte, der Familie aber die Kinderbeihilfe gestrichen wurde für die damals acht Kinder. Weitere Schwierigkeiten bekam die Familie nicht, im Gegensatz zu den unmittelbaren Nachbarn, die an den Pranger gestellt wurden durch ein Schild am Haus: Diese familie ist gegen das deutsche Volk .
    Paul erinnert sich an das kleine f in familie . Er sei elf oder zwölf gewesen und einige Zeit vor
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