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Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil

Titel: Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil
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ich.
    Diese Erklärung beschämte ihn; in einem Tonfall, der mit seiner Selbsteinschätzung zu tun hatte, nichts mehr zu taugen, sagte er:
    »Das meinst du bloß …«
    »Natürlich mag ich dich!«, sagte ich verunsichert und deshalb mit wenig Überzeugungskraft.
    Mein Vater senkte den Kopf und ließ das Thema fallen.
     
    Wenn ich mich frage, was der Vater für ein Mensch ist, passt er manchmal ganz leicht in ein Schema. Dann wieder zerbricht er in die vielen Gestalten, die er im Laufe seines Lebens anderen und mir gegenüber eingenommen hat.
     
    Diese unauslotbare Fähigkeit, fröhlich zu sein und zu lachen und rasch Freundschaften zu schließen.
    Bei der Heimkehr aus dem Krieg ist dem Vater das Talent, Sympathien zu gewinnen, wiederholt zugutegekommen. Die Namen derer, die ihm in der Not geholfen haben, sind in den Aufzeichnungen über das Kriegsende sorgfältig festgehalten. Die Fähre über die Donau bei St. Valentin musste bezahlt werden: von einem gewissen Alfons Mayr aus Ried im Innkreis. In Urfahr bekam er einen Laib Brot von Ewald Fischer und Guido Orsinger aus Kennelbach. Einer fälschte für ihn einen Entlausungsschein, damit er sich im Rotkreuzwagen unter die Bank legen durfte: Siegfried Nosko aus Dornbirn. Einer teilte mit ihm seine doppelte Ration Essen: der Musiklehrer Franz Gruber aus Bregenz, der für die Amerikaner Tanzmusik machte.
     
    Fast jeder und jede scheitert an der Idee, die man vom Vater hat. Kaum ein Mann schafft es, dem Bild gerecht zu werden, das Kinder sich vom Vater machen.
    Was könnte er mir von der Krankheit erzählen, wenn er von dort zurückkäme – wie Rip van Winkle von der zwanzigjährigen Nacht beim Kegeln. Wir könnten jetzt bestimmt anders miteinander reden, offener, umgänglicher, klüger.
    Seine Kinder, das zeichnet sich immerhin ab, werden in gewisser Weise geläutert aus den Geschehnissen hervorgehen.
     
    Es ist offenkundig, dass es tiefe Spuren hinterlässt.
     
    Nach vielen Jahren der Trennung und der Selbständigkeit hat ihm seine Frau die missglückte Ehe verziehen. Sein aufrichtiger Wunsch nach einer lebenslangen Beziehung geht ein bisschen in Erfüllung.
    Vor wenigen Tagen saß er zu Hause in der Küche auf einem Stuhl, hielt die ganze Zeit still, und meine Mutter schnitt ihm die Haare.
     
    Gerade in Familien- und Paarbeziehungen kennt man Gefühle mit verdrechselten Lebensläufen – gewunden wie Korkenzieher .
     
    Oft sehe ich in dem armen, seines Verstandes beraubten Menschen den Vater früherer Tage. Wenn die Augen klar blicken und er mich anlächelt, was ja zum Glück sehr oft geschieht, dann weiß ich, dass sich auch für ihn mein Besuch gelohnt hat.
    Oft ist es, als wisse er nichts und verstehe alles.
    Einmal, als ich ihm die Hand gab, bedauerte er mich, weil die Hand kalt war, ich sagte, ich käme von draußen aus dem Regen. Er behielt meine Hand zwischen seinen Händen und sagte:
    »Ihr könnt tun, was ihr zu tun habt, ich werde derweil diese Hand wärmen.«
     
    Nachher setzten wir uns nach hinten auf die Couch, und als entschieden war, wer sich wohin setzt, sagte er:
    »Ich bin ein älterer Knabe und liebe verzwickte Sachen nicht.«
    Aus den Lautsprechern ertönte Mozart, in dezenter Lautstärke. Wenn jemand vorbeiging, sagte der Vater »Halleluja!« und schaute der betreffenden Person hinterher. Als er wieder »Halleluja!« gerufen und die Person gelacht hatte, kommentierte er es für Katharina und mich mit den augenzwinkernden Worten:
    »Das wirkt wie Bombe.«
     
    Dieser alte Mann mit seinen kleinen Sehnsüchten, die er einer neuen Wohnung im Paradies vorzieht: Spazieren gehen und jemanden treffen, mit dem er ein wenig reden kann.
     
    Im Altersheim ist nicht mehr viel zu erwarten – kleine Annehmlichkeiten – lachende Gesichter – herumstreichende Katzen – ein gelungener Scherz –. Mir gefällt es, dass die Menschen, die hier wohnen, aus der Leistungsgesellschaft befreit sind.
    Ein Mangel an Möglichkeiten hat manchmal etwas Befreiendes. Ich stelle es mir vor wie das Warten an einer kleinen Bahnstation in Sibirien, kilometerweit abseits der nächsten Siedlung, man sitzt und knackt Sonnenblumenkerne. Irgendwann kommt bestimmt ein Zug. Irgendwann wird etwas passieren. Bestimmt.
     
    Der Vater nahm einen Schluck vom Kaffee, stellte die Tasse neben die Untertasse, schaute die beiden an und fragte:
    »Sind das Verwandte?«
    »Ja, die gehören zusammen«, gab ich zur Antwort.
    »Ich hab’s mir gedacht wegen der Farben«, sagte er.
     
    In der
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